Der Fluch der Bügeleisen - Teil 1

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Mittwoch, 16.05.2012 München – Weiden

„Die Züge auf der Strecke scheinen sich zu rentieren“, denke ich so, als ich die Massen an Menschen anschaue, die dem gerade eingefahrenen EC aus Zürich entsteigen und an mir vorbei in die Münchner Nacht streben. Und während ich noch nach einem jungen Mann mit Rollkoffer und charakteristischer roter Fototasche Ausschau halte, spricht mich jemand von hinten an.
Unbemerkt von mir hat sich Nil von hinten angepirscht. Kein Wunder, war doch meine optische Eichung falsch. Statt in einem Rollkoffer trägt er seine Utensilien für das kommende lange Wochenende in einem mittelgroßen Rucksack auf dem Rücken. Ich hätte es wissen müssen! Und während wir plaudernd durch die Haupthalle in Richtung Auto schlendern, bewundere ich seinen Minimalismus und meine Gedanken schweifen zu dem Koffer der in meinem Kofferraum liegt und eher in die Kategorie „Auswanderergepäck“ fällt. Naja andererseits, dass etwas mehr an Ausrüstung nicht schädlich sein kann, hat die Tour durch Baltikum bewiesen. Ohne meinen Fundus wäre die Fotoreise für Pascal bereits nach drei Tagen vorbei gewesen.
Für uns beginnt nun aber der letzte Teil der heutigen Tagesetappe auf dem Weg nach Tschechien und die beginnt mit einer spannenden Aufzugfahrt. Nein, ich meinen nicht die mit dem Lift aus den 1950ern nach oben, sondern die mitsamt Auto nach unten. Jawohl, wer im Parkdeck des Hauptbahnhofs parkt, darf mitsamt Auto Aufzug fahren. Echt coole Sache. Wusste ich bis heute auch noch nicht.

Fröhlich plauschend geht es durch die Nacht, inkl. Zwischenstopp zwecks Nahrungsaufnahme, und als wir endlich die heimische Wohnung in Weiden erreichen, ist es schon eins durch. Kurze Besprechung wann wecken und wann los, dann heißt es Licht aus und ab in die Federn.


Donnerstag, 17.05.2012 Weiden – Tisnov

Hatte ich irgendwann eigentlich schon mal erwähnt, dass ich unser Hobby sau blöd finde. Also wenigstens wenn ich mir im Winter irgendwo diverse Körperteile abfriere oder der Wecker mich schon nach nicht mal fünf Stunden Schlaf wieder aus den Federn reißt. Was hilfts! Rausgequält, mit verschwiemelten Augen die Croissants in den Ofen geschoben und ab unter die Dusche. Alles geht etwas langsamer heute und so schreiben wir den ersten Zug schon mal gedanklich ab, als wir aus dem Haus gehen. Ich war gestern auf die Schnelle mal auf zelpage, einem eigentlich verlässlichem Informationsgeber. Ein Fehler, wie sich im Laufe des Tages noch herausstellen sollte.
Vielleicht sollte ich, bevor ich weiter erzähle, noch vorausschicken, eigentlich wollten wir ja nach Benelux. Da das Wetter aber dort recht mistig zu werden versprach, haben wir kurzfristig den Reiseplan auf Brno umgeschrieben. Das Basislager für vier nette CD-Tage war in Tisnov geplant.

Ablauf heute: Anfahrt über Waidhaus – Prag – Hradec Kralove nach Usti n.O. Dort die Strecke nach Lichkov unsicher machen, eine Linie in die ich mich ein bisschen verliebt habe, und dann über die Hauptstrecken nach Tisnov vorarbeiten. Der Wetterbericht machte für die Ecke durchaus Mut und zelpage hatte für die Linie mit 111er, 163er und Kibel eine ordentliche Abwechslung versprochen. Dazu kam noch ein 130er geführter Güterzug, der nach und von Polen unterwegs sein sollte.

An der Grenze hieß es erstmal Vignette besorgen. Da mein gutes Auto mit seinen mehr als 418.000 km unlängst fast mängellos den TÜV gemeistert hatte, spendierte ich ihm eine Jahresvignette. Dürfte sich bei den vielen geplanten Besuchen bei den Nachbarn schon rentieren. Mit einem Piep mahnte unser fahrbarer Untersatz dann exakt vor der Zapfsäule auch noch daran den Sprit nicht zu vergessen Bis kurz vor Prag waren wir so gut unterwegs, dass der erste Zug den wir auf dem Zettel hatten doch wieder machbar schien, dann bremste uns ein Stau aber bitter aus. Nix wars. Na dann halt spontan auf die nächste Leistung umgeswitched. Die sollte laut zelpage mit einer 111er laufen. Aber hatte ich nicht mal gelesen, dass die alle abgezogen worden waren? Egal, die werden es schon wissen.

Hatten auf der ganzen Fahrt die vielen Wolken am Himmel die Sonne immer wieder für längere Abschnitte durchgelassen, schwante uns auf den letzten Kilometern böses. Genau über dem Zielgebiet um Letohrad lag eine dichte, dunkelgraue Maße. So ein Mist! Doch nicht zu ändern.
Der zweite Stimmungsheber kam dann am Bahnhof. Eine 111er war nirgends zu sehen. Dafür stand eine 163er mit Wagen plus neuem Steuerwagen am Hausbahnsteig. Und vom Güterzug, der hier den Kreuzungshalt abwarten sollte, keine Spur.

Um ja nichts zu übersehen fuhren wir zum hinter dem Bahnhof liegenden Bahnübergang. Dort hatte sich noch ein Eurorunner in gelb-silber versteckt, der sich just in dem Moment auf den Weg Richtung Grenze machte, als wir ausstiegen.


223 010 der MRCE in Letohrad

ER20-010, derzeit in Diensten von AWT, verlässt als Leerfahrt den Bahnhof von Letohrad in Richtung Lichkov.


Da fährt man in den hintersten Winkel von Tschechien und bekommt als erstes Bild einen Eurorunner. Das hätte ich 400m vor der Haustür leichter bekommen.  Aber wollen nicht meckern, schließlich kam genau im richtigen Moment die Sonne hervor.
Wir machten uns wieder auf dem Weg. Auch wenn ich etwas enttäuscht war, dass es mit dem Bügeleisen -Bild in diesem Tal nichts werden sollte, die 163er wollten wir uns auch nicht entgehen lassen. Leider war das Licht, wenn es mal da war, die meiste Zeit achsig und so mussten wir bis fast vor die Tore von Usti n.O. um eine Stelle zu finden. Am Haltepunkt von Ceernovir bezogen wir Stellung. Erst rollte 810 458-0 als Os 20029 in Richtung Letohrad, dann kam die erwartete Garnitur aus der Gegenrichtung gerollt. Und mit ihr tauchte die Sonne aus dem Wolkengrau hervor.


163 088 der ČD in Černovír

Os 20028 ist im Haltepunkt von Cernovir zum Halten gekommen. Der Garnitur mit 163 088-8 und Steuerwagen hat man die 742 249-6 angehängt, welche sich mit nach Usti n.O. ziehen lässt.


Bis zur nächsten Leistung im Tal hatten wir jetzt noch etwas Zeit. Laut zelpage sollte es sich um einen EN57 der PKP handeln. Irgendwie fehlte uns aber nach den Erfahrungen der letzten Stunde der richtige Glaube. Gut, wir werden sehen! Jetzt ging es erst einmal in Richtung Hauptstrecke. Nil hatte von einem früheren Besuch noch eine Stelle bei Dlouha Trebova auf dem Zettel. Das Licht wurde zwar immer mieser, aber irgendwas würde schon gehen. Und es ging! Hauptstrecke hald….



680 003 der ČD in Dlouhá Třebová

Mit ordentlich Verspätung ist der Supercity SC 510 unterwegs. An diesem Tag läuft 681 003-0 in diesem Dienst.



742 249 der ČD in Dlouhá Třebová

War 742 249-6 von Letohrad bis Usti n.O. noch im Schlepp des Os 20028 unterwegs gewesen, fährt sie jetzt aus eigener Kraft leer weiter in Richtung Heimatdienststelle.



471 051 der ČD in Dlouhá Třebová

Mein erster Elephant in Tschechien. Doppelstocktriebwagen 471 051-3 unterwegs als Sp 1629.



Wir überlegten: „Nach soviel Personenverkehr dürfte es doch nun mal ein schöner Güterzug sein!“ Gewünscht …… bekommen!  Und mit einer Bespannung wie sie schöner (fast) nicht hätte sein können.



122 014 der ČD in Dlouhá Třebová

Weit weg von ihrem böhmischen Heimat-Bw ist die 122 014-4 im tiefsten Mähren unterwegs. Mittlerweile sind die Vertreterinnen dieser Lokbaureihe aus der Nachkriegszeit rar geworden.



122 014 der ČD in Dlouhá Třebová

Seit Mitte der 60-ziger befahren die Loks der Reihe 122 die tschechischen Schienen. Aber langsam und unaufhörlich läuft die Zeit der 122 014-4 und ihrer verbliebenen Schwestern ab.




Kleine Randnotiz zum Augenzwinkern. Am gegenüberliegenden Feldweg versuchten einige Jugendliche herauszufinden, wer den schönsten hat…….. Den schönsten was? Na, den schönsten Skoda! War lustig anzuschauen, wie sie sich gegenseitig stolz ihren fahrbaren Untersatz präsentierten. Waren wir früher auch so??? Naaaa klaaaar! Nur eben mit Fiat, Opel, VW und Konsorten.

Jetzt aber wieder zur Eisenbahn!


362 171 der ČD in Dlouhá Třebová

Noch im Mehrsystem-Blau ist 362 171-1 unterwegs. Mit dem Rychlik R 873 "Macocha" ist sie auf dem Weg nach Süden.



1216 240 der ÖBB in Dlouhá Třebová

Eine bunte Garnitur hat 1216 240-2 an diesem Tag mit dem aus tschechischen Wagen gebildeten EC70 "Gustav Mahler" am Haken.



151 012 der ČD in Dlouhá Třebová

Auch die Gleichstromschwestern der Mehrsystem Gorillas glänzen durch ihre elegante Form. Hier zieht eine Vertreterin der auf 160 km/h umgebauten Maschinen, die 151 012-2, den Express Ex 149 "Hukvaldy" in Richtung Slowakei.



163 251 der ČD in Dlouhá Třebová

163 251-2 eilt als Os 5023 in Richtung Ceska Trebova.



123 003 der ČD in Dlouhá Třebová

In das neue Farbkleid geschlüpft ist Oldie 123 003-6, hier unterwegs mit einen Güterzug nach Süden.



1216 236 der ÖBB in Dlouhá Třebová

Als rein österreichische Garnitur ist EC 79 "Gustav Klimbt" unterwegs. An der Spitze sorgt an diesem Tag 1216 236-0 für Traktion.



Puh, da war ja ordentlich was los! Fehlte nur noch der RegioJet. Der lies aber gewaltig auf sich warten. Und von Polen her drückte langsam aber sicher der Kibel. Wir gaben dem Gelben dann noch unsere Puffer-Minuten, doch auch dieses Opfer brachte nichts! Schade, aber nicht zu ändern!

Aber schon toll was diese Strecke so an Abwechslung und Zugfrequenz zu bieten hat, dachten wir. Und dass das der Eisenbahnfan, der einige 100m weiter hinten stand wohl auch dachte, dachten wir. Aber der dachte nicht, er wusste…….im Gegensatz zu uns! Und was er wusste, sahen wir wenige Minuten später von der Straße her. Einen langen Schrottzug mit Bardotkas und Wagen! Wären wir doch noch etwas stehen geblieben…… Egal, wir wollten „zum Polen“. Doch irgendwie hatten wir beim Warten auf den RegioJet zuviel getrödelt und es wurde eng, sehr eng. Als dann der Verkehr in Usti n.O. zu allem Überfluss auch nicht laufen wollte war klar: Notschlachtung gleich hinter dem Ort. Nachdem wir den Gegenzug Richtung Letohrad passieren lassen hatten, ging das Ballett der Fotostellensuche los. Irgendwie sah einiges gut aus, ließ sich aber nie richtig umsetzen. Zu nah am Gleis, Leitungen im Weg, zu schlechter Winkel, äch nun kommt die Sonne durch, also andere Seite……..irgendwie landete ich dann im Gras mit Froschperspektive und viel grün rundherum. Nasse Hosenbeine inklusive. Träumend von einem gelb-blauen EN57 stand ich so in der Wiese, während sich meine Socken beständig und planvoll vollsaugten. Endlich schlug der Bahnübergang an. Und was kommt? Eine grüne 163er mit grünen Wagen! Suuuuper! Tolles Kontrastprogramm zur grünen Umgebung!



163 044 der ČD in Ústí nad Orlicí

Farblich nicht viel Kontrast bot die Garnitur des Os 1916, der hier von Letohrad her kommt. Sowohl die Wagen, als auch 163 044-1 heben sich in dem üppigen Grün des Tales ab.



Mpf! Was soll das? Erst keine 111er, dann keine 130er und jetzt auch kein EN57? Langsam werd ich aber grätig!

Etwas demotiviert stampften wir in Richtung Auto. Der Himmel wurde wieder grauer und irgendwie kam nie das, was man erwartete und wollte.

Später erst sollte uns aufgehen, dass wir wahrscheinlich einem Feiertagsirrtum aufgesessen waren. Klar, in Tschechien war kein Feiertag, sprich hier war im Inlandsverkehr alles normal. Aber da der Kibel aus Polen kommt und der Güterzug da hin will, dort aber heute sehr wohl Feiertag ist, war irgendwie logisch, dass hier heute einiges anders war.

Da hier nun nicht mehr viel zu holen war und es zunehmend dunkler wurde, machten wir uns auf gen Tisnov. Vielleicht ginge ja an der Hauptstrecke nach Brno noch das ein oder andere? Tats nicht! Entweder war die Strecke verwachsen, das Licht weg oder es kam, wenn es kam, von der falschen Seite. So robbten wir uns Stück für Stück an Tisnov heran. Unterwegs gab es dann das Hightlight des Tages! Einen Kleinbauern, der mit einem PKW durch Feld pflückte. Hinten am PKW dran zog er eine Egge hinter sich her und bearbeitet so den Boden! Sachen gibts! In Tisnov schließlich angekommen hatte es kurz wieder aufgerissen, aber genau in diesem Zeitraum kam natürlich kein Zug. So blieb nichts anderes als die Pension an zu steuern, wo Nil und Pascal rund eine Woche vorher schon genächtigt hatten. Die Zimmer waren schnell bezogen, das Restaurant geentert und das Pilsner Urquell bestellt. Essen war super, aber das Bier……ne, das war schon nach dem ersten Schluck klar…..das war alles, nur kein original Pilsner (was Kopfweh am Morgen und eine erneute Verkostung am darauffolgenden Abend auch eindeutig bestätigten!).

Bilanz des Tages? Durchwachsen! Nicht ganz so schlecht, dass man ihn in die Tonne treten könnte, aber eindeutig noch steigerungsfähig! Und das gewaltig!