Von den sanften Hügeln Moldawiens zu den Höhen der Karpaten - Teil 4

Von

Sonntag, 12.Mai 2013 - Chisinau – Chernivtsi


Heulende und bellende Hundemeuten? Nicht an diesem Morgen! Nein, zwei Katzen sorgen heute mit ihrem Fauchen und Knurren für das Morgen-Entertainment. Nase an Nase saßen sie sich gegenüber, mit gesträubten Fell und am ganzen Körper angespannt, bereit anzugreifen sobald der Gegner nur einen Hauch von Schwäche oder Zweifel zeigt. Interessant zu beobachten, aber Kuschelkätzchen sind mir lieber! *grins*



Chisinau




Ansonsten bietet der Blick aus dem Fenster erfreuliches, nämlich einen strahlend blauen Himmel. Das schlechte Wetter scheint sich also noch Zeit zu lassen.

An der Rezeption dauert es ein bisschen. Die nette junge Dame kämpft erst mit unserer Verlängerung, dann mit dem Computer und zuletzt mit ihrem Drucker. Wir würden ja auch ohne Rechnung von dannen ziehen, aber Ordnung muss sein.
Und während sie noch bemüht ist alle Probleme zu lösen fällt uns auf, dass das gesamte Personal dieses Hotels untereinander nur Russisch spricht.

Als alles erledigt ist geht’s endlich los. Etwas knapp sind wir in der Zeit und daher dankbar, dass der sonntägliche Verkehr in Chisinau überschaubar ist. David lotst uns gekonnt durch die Vororte und hin zu Nils Wunschstelle am See. Die Hoppelpiste zur Bahn runter ist nicht das Problem, nur an der Weggabelung stellt sich die Frage: links oder rechts? Wir haben innerhalb des Autos drei Meinungen: links, rechts und egal ……. fahren links und sind damit am Ende des Wegs alles andere als Glücklich!
Die Stelle ist gut, allerdings nur wenn man Botaniker ist. Büsche, Büsche, Büsche! Und da wo mal keine Büsche stehen, hat man erfolgreich Masten verteilt.
Was bedeutet das? Richtig: laufen! Es geht den Weg wieder hangaufwärts und dann quer durch die Botanik immer an den Rändern diverser Kleinfelder von ebensolchen Kleinbauern vorbei. Nur begrenzt motiviert schleiche ich hinterher. Nicht dass mir Frühsport nicht gefällt, nein, ich hatte mir am zweiten Tag gleich den Fuß etwas verletzt und bin daher etwas beschränkt in meiner Sprintfähigkeit. Daher reichts auch nicht für mich zu einer offenen Stelle und so fällt das Bild des Bukarest-Zuges etwas bescheiden aus. Gut, haben wir nun schon oft auf den Chip gebannt, kann man sich also getrost sparen.

Nun ist etwas Zeit, ich suche mir auch ein Plätzchen mit Gleiseinsicht und siehe da, kurz danach folgen die beiden anderen und wir lagern gemütlich auf der Wiese. Das ist also jetzt unser letzter Tag in Moldawien und die Frage stellt sich, was tun, wenn hier die anstehenden MODERN und D1 durch sind?

Nochmal Nordstrecke? Nein, haben wir schon drei Tage durch! In den Süden? Sinnlos wenn wir das Land nachmittags im Norden verlassen wollen! Noch ein Versuch in Sachen 2TE10L? Ja, dass reizt!
Aber wo die Gutste auftreiben? Es sollen ja nicht mal mehr eine Hand voll fahren. Auf der Strecke die von Balti gen Osten in die Ukraine geht, soll sich eine im Zementverkehr herumtreiben. Von da dann immer entlang der Grenze einen Bogen schlagen nach Ocnita. Vielleicht hat man ja Glück und eine weitere Maschine steht dort und wartet auf die Güterzugleistung. Der Plan hört sich gut an! Aber wie wahrscheinlich ist Güterverkehr an einem Sonntag? Und was ist wenn wir Stunden um Stunden über moldawische Nebenstraßen hoppeln, nur um dann festzustellen, dass der erhoffte Diesel zwar da ist, aber hinter einer Mauer steht?

Dann doch lieber die kleine Lösung und hoch nach Balti und dort unser Glück im Bw versuchen? Würde auf dem Weg liegen, schließlich haben wir schon die Übernachtung in Chernivtsi gebucht und dort steht auch der Zug Ocnita – Chernivtsi fix auf unserem Zettel! Aber wie wahrscheinlich ist es, dass wir dort auch nur in die Nähe des Bw kommen und erst recht, dort ungestört fotografieren können?

Irgendwann in dieser Diskussion lasse ich mich zum Kommentar hinreißen: „Passt auf, egal wie wir uns jetzt entscheiden, heute Abend werden wir feststellen, dass es falsch war.“

Ein gutes hat das hin und her auf jeden Fall: Die Zeit vergeht! Und so gibt es nach viel Text jetzt auch endlich wieder Eisenbahnbilder.



D1M der CFM in Sireti

M 805 mit D1M 002-1 an der Spitze rollt an diesem Morgen am großen See nördlich von Chisinau vorbei.



D1 der CFM in Sireti

D1 760-3 war an diesem Morgen für den TD 6025 von Chisinau nach Ungheni eingeteilt.



Mittlerweile ist unsere Entscheidung gefallen. Wir nehmen die Balti-Variante und dann geht’s ab in Richtung Ukraine. Wenn alles klappt ist sogar noch die Dnister-Brücke drin, denn das Wetter scheint besser zu halten wie vorher gesagt. Je nachdem wie es in Balti läuft kann man ja noch einen Schlenker über Ocnita einbauen, aber das sehen wir dann. Jetzt geht’s erstmal durch die Dörfer nach Straseni.




Sireti




Dort ist Wochenmarkt und diesmal ist die Seite hinter dem Bahnhof die geschäftige! Unzählige
Stände, Kleinbusse und Menschen machen die Durchfahrt zu einem regelrechten Hindernissparcourt. Die weitere Fahrt ist ereignislos und vergeht mit Unterhaltung und vor sich hin dösen, bis, ja bis mich kurz vor Balti ein grünes Signal aus meiner Lethargie reißt. Schamrot schaue ich in den Fahrplan und während Nil wendet finde ich auch die zum Signal passende Zugleistung. *schäm* Da hat der Fahrplanbeauftragte aber so was von gepennt. Kaum sind wir aus dem Auto raus geklettert, da kommt auch schon der TD 6091 daher gerollt.



D1 der CFM in Balti

Nur noch wenige Kilometer hat D1 709-1 vor sich, dann hat er als TD 6091 Chisinau - Balti-Slobozia sein Ziel erreicht.



Da haben wir aber mal richtig Glück gehabt, oder? Nun hat wieder David seinen Auftritt. Mittels open street map navigiert er uns in Richtung Bw. Und siehe da, nach einigen Ecken und ausgefahrenen Sandwegen verenden wir an der rückseitigen Mauer des Betriebswerks. Gut gefunden haben wir es jetzt schon mal. Mehr also als beim letzten Versuch. Aber zu sehen gibt’s hier nix, erst recht nichts zu fotografieren. Und die alle 20 m angebrachten Hinweisschilder, dass genau dies zudem auch noch verboten sei, lassen unsere Begeisterung nicht gerade steigen. Aber was hilfts, da gibt’s nur zurück schaukeln und vorne rum versuchen. Mehr wie schief gehen kann das ja auch nicht. Übrigens, ganz nett ist, dass überall in den Gärten die halben oder kompletten Aufbauten von Güterwagen herum stehen und ein zweites Leben als Geräteschuppen o.ä. feiern.

Am Bahnhof angekommen werden wir gleich von einem Parkplatzwächter begrüßt und eingewiesen. Er quetscht uns irgendwo in eine Lücke und zudem noch etwas Bares aus uns heraus. *grins* Aber dafür steht das Auto sicher.
Nun heißt’s Rucksack geschultert und Überblick verschafft. Was ist da besser als eine Fußgängerbrücke. Oben angekommen dröhnt eine Durchsage durch die Lautsprechen: Da Zuch kütt! Es ist der D1, den wir vorhin vor Balti erwischt hatten. Unglaublich wieviel Zeit wir dem abgenommen haben.



D1 der CFM in Balti

Gerade ist D1 709-1 als TD 6091 aus Chisinau kommend im Endbahnhof Balti-Slobozia angekommen. Gleich wird er sich wieder in Bewegung setzen und ins örtliche Betriebswerk einrücken.



Der freundliche Lokführer macht extra für uns den großen Frontscheinwerfer an und grüßt freudig hupend durchs Fenster. Welch ein Service!
Wir lassen den Blick schweifen und sehen ….. jede Menge abgestellter Güterwagen! Der ganze Bahnhof ist voll! Nur keine 2TE10L und auch keinen Eingang zum Betriebswerk. Also mal über die Brücke auf die andere Bahnhofsseite. Dort gibt es, neben einem Museumswagen in einen Mini Eisenbahnerpark, auch jede Menge Gleise. Doch alle führen in das Wagenwerk, moment, bis auf das letzte. Das ist verölt, geht durch ein offenes Tor und gaaaaaanz hinten ist auch noch eine Hummel zu erkennen. Also zurück, denn auf der anderen Bahnhofseite gibt es noch einen weiteren Übergang. Vorsorglich die Kameras wieder eingepackt um keinen Unmut zu erregen, doch niemand stört sich an uns. Den Überweg erreicht und erklommen, vertrauenswürdig sieht er nicht gerade aus, sehen wir endlich die Objekte unserer Begierde. Doch Mist, wer hat die Dinger direkt unter der Brücke abgestellt und dann auch noch den letzten Teil dieser Brücke mit einem Gitter abgesperrt! Na gut, dann gibt’s halt wenigstens Notbilder. *grmbl* Die Löcher im Boden des Steigs ignorierend und an der Absperrung angekommen sehen wir, da führt eine Treppe hinunter auf Gleisniveau. Und dort trennt uns nur eine Hecke von den Maschinen! Sollen wir es wagen? Na klar!
Ein Vater mit kleinem Sohn kommt uns entgegen, grüßt freundlich und geht weiter. Dann ist niemand mehr zu sehen. Also in bester „Ost-Manier“ reindrücken, abdrücken und verdrücken.

Wir sind noch keine 2 m im Gelände und haben das erste Bild im Kasten, da werden wir gerufen! Uiuiui, was jetzt? Schnell die Biege machen? Nö, denn der da ruft schaut nicht böse aus seiner Uniform, sondern eher erfreut. Schon älteren Semesters schreitet er auf uns zu und es beginnt einmal mehr eine Konversation a la „ich Tarzan, du Jane“. Mit Händen und Füssen ….. woher Schweiz …. Deutschland ….. Paß hoch gehalten …. Aha! …… können wir die Loks fotografieren …… jaja, kein Problem ….. warum hier …… Eisenbahn ….. aha! ……
Mit allen Sprachen, Gesten und was einem sonst noch zur Verfügung steht, versuchen alle sich verständlich zu machen. Alle? Ja, denn außer uns und unserem Begrüßer sind jetzt noch weitere Eisenbahner dazu gekommen, alle freundlich lachend und ganz interessiert. Dass wir nebenbei die abgestellten Maschinen ablichten, interessiert aber keinen. Jaja, macht nur!



2TE10L-2077 der CFM in Balti

Drei Maschinen nebeneinander der mittlerweile raren Reihe 2TE10L sind heute schon eine Seltenheit. An diesem Tag liesen sich 2TE10L-2757, 2TE10L-2077 und 2TE10L-2394 im Depot Balti ablichten.




Schade in solchen Momenten, dass man nicht alle Sprachen der Welt kann. Unser Gesprächspartner versucht uns einiges zu erklären und es wäre sich hoch interessant gewesen! So hätten wir sicher auch erfahren, ob und wie viel von diesen mittlerweile selten Dieselmaschinen noch im Betrieb sind. Von den abgelichteten war es mit Sicherheit die 2394. Ölspuren auf dem Dach ließen dies zumindest vermuten.



2TE10L-2394 der CFM in Balti

2TE10L-2394 ist eine der letzten betriebsfähigen Maschinen dieser Baureihe. An diesem Tag war sie aber nicht auf der Strecke unterwegs, sondern befand sich zusammen mit bereits abgestellten Schwestermaschinen im Depot Balti.



2TE10L-2757 der CFM in Balti

2TE10L-2757 dagegen hat ihre letzte Fahrt schon einige Zeit hinter sich.



Mit viel Händeschütteln und Gesten des Danks verabschieden wir uns von den Eisenbahnern und streben wieder in Richtung Auto. Nicht aber ohne vorher noch einige Detailaufnahmen gemacht zu haben.



2TE10L-2077 der CFM in Balti

Fabrikschild der 2TE10L-2077



Hatte ich nicht anlässlich des Glockengeläuts bei Bahmut erzählt, dass es diese Momente sind, die das Hobby so wertvoll machen? Begegnungen wie die eben erlebte gehören definitiv auch dazu.

Am Auto angekommen sagen der Blick in den Fahrplan und auf die Uhr, wir können den Moskauzug nach Süden noch erreichen. Da die Straße vor Balti nicht parallel zur Bahn verläuft, müssen wir einen kleinen Bogen fahren und erreichen erst in Sofia wieder die Gleise. Jaja, der Ort heißt wirklich so, auch wenn er mit der bulgarischen Hauptstadt nur die Tatsache gemeinsam hat, dass Gleise dahin führen und DAS FERNSCHNELLZÜGE DORT HALTEN!

Genau, der Schnellzug Moskau – Chisinau hat einen planmäßigen Stopp in dem kleinen Nest mitten im Nirgendwo! Und das auch keine Zweifel über die Wichtigkeit des Haltes aufkommen, stehen neben dem Bahndamm auf einem Feldweg ein Dutzend Kleinbusse bereit, um umsteigewillige Reisende weiter in die Heimatdörfer zu befördern. Und man sollte es kaum glauben, von denen gibt es genug.

Langsam rollt nun der Schnellzug ein und da an den kurzen Bahnsteig bestenfalls ein D1 passt, aber auf keinen Fall ein langer Fernzug, steht der überwiegende Teil der Wagen auf der Strecke. Kaum zum Halten gekommen, springen auch schon die Provodniks aus den Wagen, wischen pflichtbewusst die Handgriffe ab und halten anschließend rote Fahnen hoch um zu zeigen: „Bei mir wird noch aus- oder eingestiegen!“.



Reisezugwagen der CFM in Sofia




Ach ja, wie es die Leute schaffen aus den hohen Wagen hinunter ins Schotterbett zu kommen bleibt weitestgehend ihnen überlassen.
Schnell verlaufen sich die Reisenden und verteilen sich per Beine in die Botanik oder hinein in die bereits stehenden Fahrzeuge. Ein perfekt abgestimmter Knotenpunkt!

Bevor die Zuglok grummelnd wieder anzieht, wechseln wir den Standort und stellen uns an der Bahnhofsausfahrt auf.



3TE10M-1213 der CFM in Sofia

Hinter Zuglok, …… na, wer möchte raten …… richtig …… hinter der 3TE10M-1213 verlässt Schnellzug 342 den kleinen Bahnhof des kleinen Sofia.



So, wie jetzt weiter? Nach Ocnita fahren in der Hoffnung da noch eine 2TE10L zu erwischen? Nicht wirklich verlockend, denn deren Anwesenheit ist recht unsicher und wenn sie da wäre, gäbs doch nur ein weiteres Standbild. Da doch lieber auf den Schlenker gen Osten verzichten, der uns mit Sicherheit eine Stunde kosten würde, und direkt zur Grenze nach Briceni hochfahren. Schließlich haben wir sogar noch die Chance den nachmittäglichen Personenzug auf der Dnister-Brücke hinter Lenkivtsi zu erwischen. Das zieht!

Kurz vor Briceni geht’s nochmal zum Tanken raus und nachdem Nil noch einen riesigen Kreisverkehr, der sich mit einem Durchmesser von gut 200 m durch einen Wald zieht, etwas unkonventionell hinter sich gebracht hat, rollen wir auf die Grenze zu, gespannt was hier nun gleich so abgeht.
Schließlich stehen jetzt gleich zwei Schweizer und ein Deutscher, der noch dazu separat vor wenigen Tagen mit dem Flieger eingereist ist, die alle drei kein Wort der beide hier gesprochenen Sprachen sprechen, in einem ukrainischen Leihwagen am Schlagbaum und wollen von Moldawien in die Ukraine einreisen. Wird bestimmt spannend!

Als erstes irritiert uns, dass es vor dem ukrainischen Schlagbaum keine moldawische Abfertigung gibt. Wie war das doch gleich mit dem fehlenden Einreisestempel wenn man über Transnistrien kommt und den daraus resultierenden Problemen bei der Ausreise? Scheint doch nicht so wild zu sein, wenn hier niemand kontrolliert.
Von einem ukrainischen Grenzsoldaten bekommen wir einen Laufzettel und schon geht’s vor zur kleinen Abfertigungshalle. Zwar ist nicht viel los, nur zwei Autos stehen vor uns, aber das heißt nun nicht zwanghaft, dass es schnell geht. Irgendwann kommt eine herrisch aussehende Ukrainerin, nimmt uns die Pässe ab und verschwindet wortlos. Dann passiert gar nichts! Wir stehen an der ersten der vier Buden und schauen schläfrich den vielen unterschiedlich gekleideten Uniformträgern beiderlei Geschlechts zu, wie sie mit unverhohlener Unlust ihren Dienst ableisten. Mann hats der im Schatten dösende Straßenhund gut. Er wird nicht kontrolliert, ist wahrscheinlich staatenlos und kann kommen und gehen wie er will. Irgendwann dürfen wir dann weiterrücken und realisieren, dass man erst ukrainische Einreiseformalitäten hinter sich bringen muss, bevor im dritten der vier Häuschen ein Moldawier die Ausreise aus seinem Land per Stempel bekräftigt. Nachdem auch unser Kofferraum inspiziert wurde kommen wir zum vierten Häuschen. Dort hat auch schon unser „Vordermann“ die meiste Zeit verbracht und als wir endlich dran sind, wissen wir auch warum. Hinter der Scheibe sitzt ein grimmig dreinschauender Grenzer, schwer geprüft von seinem täglichen Dienst und bedeutet uns auf Ukrainisch: ……….? Ja was eigentlich? Keine Ahnung! Da er dies aber recht nachdrücklich tut, reichen wir ihm alles über den Tresen was wir so an Papieren bei uns führen. Scheint ihn aber nicht zu genügen. Wechselseitig in Davids Pass blättern und in den Computer tippend, brummt er uns beständig denselben Satz zu, den wir dadurch aber auch nicht besser verstehen. Sorry! Wir wissen, wir sind Sprachbanausen.
Mittlerweile staut sich der Betrieb hinter uns schon ordentlich und einige ungeduldige Zeitgenossen drängen nach vorne. Verständlich, macht aber unsere Abfertigung nun auch nicht wirklich schneller. Dann plötzlich scheint der Herr des Häuschens entnervt aufzugeben, nochmal ein kleiner Wortschwall, hier die Papier, tschüss, am Schlagbaum noch den Laufzettel abgegeben und hallo hier sind wir Ukraine.

Was nun kommt, bereitet uns gleich ordentlich auf den Rest der Reise vor: Schlaglöcher, Schlaglöcher, Schlaglöcher! Warum ich nichts von einer Straße schreibe? Na, weil vor lauter Schlaglöchern keine mehr da war!
Ich bin schon in vielen Ecken der Welt gewesen, aber solche Zustände wie sie teilweise in der Ukraine vorherrschen, habe ich in ähnlich gearteten Regionen noch nicht gesehen! 30 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit waren teilweise schon nahe am Harakiri.

Aber was hilfts, gut geschüttelt und ungerührt arbeiten wir uns vor. Dabei passieren wir zweimal die Strecke von Ocnita her und ich schaue sicherheitshalber ob ich nicht einen Zug übersehen habe. Nein, steht keiner an und der von Ocnita ist schon durch. Aber halt, was ist das? Am Bahnübergang hinter Larga blickt und bimmelt es. Huch, das nennt man Glück! Ein Foto im Vorbeigehen, so was hat man gerne. Doch irgendwie bimmelt es nur und es rollt nichts. Und während in uns die Zweifel nagen, nagt der kleine Zeitfraß an unserem Polster. Eigentlich müssten wir weiter, aber wenn jetzt gleich….. Die meisten Ukrainer scheinen mehr zu wissen wir wie und passieren den Bahnübergang mit ihren Autos. Nur zwei, drei ganz brave bleiben tapfer Minute um Minute stehen. Plötzlich entsteigt dem ersten Wagen ein blondes Mädel, kommt auf uns zu und fragt auf Englisch ob wir wüssten, ob ein Zug kommt. „Keine Ahnung!“, geben wir zurück, worauf sie uns fragt, ob sie denn dann über den Bahnübergang fahren dürften! Upps, so schnell mutiert man zur regelgebenden Instanz. Wir winden uns, dass man es ja nicht tun sollte, aber die anderen würden auch alle fahren. Darauf dankt sie uns lächelnd, was für ein hübsches Lächeln *schmelz* , marschiert zurück und rollt schon bald im Auto an uns vorbei. Schöne Geschichte, aber wir haben nun schon genug Zeit vertrödelt! Schreckhaft wird uns das bewusst und wir hirschen los. Zu spät, denn das Unglück hat schon seinen Lauf genommen. Zuerst vertue ich mich mit dem Sonnenstand. Nein, wir können nicht am diesseitigen Ufer stehen, wir müssen rüber. Doch rüber ist so leicht gesagt, heißt es doch einen großen Umweg fahren. Und während wir in der Karte rumstochern um Nil zu sagen wie er abbiegen soll meine ich zu den beiden anderen: „Habt ihr mir nicht von euren tollen Navi vorgeschwärmt, dass ihr mit dem Auto mitgemietet habt?“ Mensch, dass Navi! Nach 5 Tagen in Moldawien wo alles nur nach Karte und smart-phone lief, hatten sie das total vergessen. Schnell rausgekramt, angesteckt und zum Leben erweckt. Es dauert ewig! Derweil macht Nil ordentlich Strecke. Endlich läuft das Ding, spuckt eine Ankuftszeit aus und ich schaue in den Fahrplan und Sch…. „Halt, stopp, sinnlos! Wir sind eine gute dreiviertel Stunde nach Zugdurchfahrt da!“
Was bleibt nun? Doch zurück auf diese Seite des Flusses und irgendwie nach- oder querschießen. Endlos ziehen sich die Kilometer die wir dieselbe Strecke zurückfahren die wir gekommen sind, und schnell laufen die Minuten runter bis wir endlich oberhalb der Brücke ankommen. Blick links, Blick rechts, kein Zug zu sehen. Während die beiden anderen auf einer Brücke über dem Einschnitt nahe des Ufers bleiben, gehe ich ein Stück nach vorne um wenigstens etwas Fluss aufs Bild zu bringen. Nur es kommt kein Zug! Stimmt der Fahrplan nicht oder haben wir ihn doch um Minuten verpasst. Nach einer guten halben Stunde geben wir auf. Doppelt frustriert, dass wir das Motiv und den Zug verdöddelt haben, geht’s in Richtung Chernivtsi. Schließlich soll es ja wenigstens mit dem Trommelzug aus Ocnita klappen.

Der erste Teil der Fahrt verläuft etwas ruhig. Jeder von uns muss erst den Klos im Hals herunterschlucken, außerdem macht das Geschaukel auf diesen Straßen müde. Andererseits sorgt der Zustand der Fahrbahnen auch für Unterhaltung! Einmal fahren wir am Ende einer Schlange als vor uns plötzlich acht Autos nach rechts und links ausscheren, ja fast ausschwärmen, um sich vom linken bis zum rechten Bankett über die komplette der Straßenbreite zu verteilen. Jeder ist überzeugt den besten Weg durch die Löcher gefunden zu haben. Was für ein Anblick! Warum fotografiert in diesem Moment nur niemand.

Interessiert schaue ich in die vorbeiziehende Landschaft mit vielen Feldern und grünen Hügeln, dann biegen wir auch schon ab über eine Sandpiste hin zur Eisenbahn. Hier sitzen wir nun an einem recht „baltisch“ aussehenden Bahnübergang, „breiter Brandschutzstreifen mit Wiese und anschliessender Baumreihe“, und schmieden Pläne, was wir nach Durchfahrt des Trommelzugs noch machen könnten. Ein nach Chernivtsi zurückkehrender GmP wäre noch erreichbar. *hurra! Eine Hummel* Aber dazu müsste der Trommelzug im Plan kommen. Tut er aber nicht! Und so schauen wir ergebnislos in die lange Gerade und das einzige was zurückschaut ist eine Kuh!



Zieleni Gai

Hurra! Nach so viel Text endlich mal wieder ein Bild! Leider kein Zug, nur ein Burger-Tier.



Immer wieder gehen unsere Blicke zu den Bahnschranken, die am Ende der Geraden zu sehen sind. Sind sie noch oben, ja, nein? Moment, mal schnell ein Telebild machen, auf dem Display vergrößern, Mist, sind noch oben! *grmbl* Nie habe ich in meinem Leben so viel Bilder von Bahnschranken gemacht.
Was bleibt? Am Bahndamm sitzen, den GmP aus dem weiteren Tagesprogramm streichen, und das doofe Gefühl bekämpfen, dass unsere Fahrpläne nicht stimmen. Wuaaa, will ich gar nicht dran denken. Und da ich von diesem Teil der Tour die meisten geschrieben habe, wäre mir das mehr als peinlich. Wenigstens herrscht auf dem Weg hinter uns Leben, denn nachdem dort in der letzten halben Stunde kleine Grüppchen von Einheimischen vorbeimarschiert sind, scheinbar ins Nichts verschwindend, kommen sie jetzt alle zusammen zurück um die Rinder in Richtung Stall zu bringen.



Zieleni Gai

Abendlicher Viehtrieb!



Und während ich versuche mit den Schienen und der langsam im Dunst verschwindenden Sonne Kunst zu machen, trommelt es aus der anderen Richtung. Leise, aber unverkennbar und allmählich lauter werden. Und ein letztes Mal werden unsere Nerven an diesem Tag auf eine Zerreißprobe gestellt, denn der Zug will und will nicht so recht die Gerade heraufkommen, wogegen das Licht von Sekunde zu Sekunde schwächer wird! Praktisch im allerletzten Halblicht gelingt noch das letzte Bild des Tages!



2M62-1000 der UZ in Zieleni Gai

Er kommt aus Moldawien herüber, der 609. Genauer gesagt aus Ocnita. Auf seinem Laufweg passiert er noch mehrfach die Grenze zwischen den beiden Staaten und legt dabei nicht unerhebliche Strecken im Nachbarland zurück. Jetzt rollt er, von der b-Sektion der 2M62-1000 gezogen, mit rund einer Stunde Verspätung im letzten Sonnenlicht bei Zieleni Gai dem Endpunkt Chernivtsi entgegen.



Das hat ja gerade noch so geklappt mit dem Bild. Was jetzt bleibt ist zum Hotel zu fahren, zu duschen und gut zu essen. Ein Blick zum Himmel, als wir hinter den Bäumen hervorkommen, entlockt Nil den trockenen Kommentar: „Da ist das schlechte Wetter!“ Die dunkle Wolkenbank die sich hinter Chernivtsi über die gesamte Breite über den Himmel zieht lässt keinen Zweifel, morgen wird kein Sonnentag! Da hilft nur eins, schnell unten durch gen Westen!

Im Hotel angekommen gibt’s erst mal eine Dusche und großes Gelächter. Sieht der Bau von außen recht schick aus, verfliegt der Eindruck innen ganz schnell. Alles doch sehr abgewohnt und postkommunistisch. Dass die gegenüberliegenden Zimmertür zudem verplombt ist, ist nur ein weiteres Highlight. *grins* Ach ja, was zum Lachen war? Hatten wir in Chisinau eine kleine, zum brechen volle Minibar mit allen Arten von Getränken, steht hier im Zimmer ein fast mannshoher Haushaltskühlschrank. Erwartungsvoll geöffnet präsentiert sich als Inhalt aber nur je eine Flasche Bier, Limo, Wasser und Cola. Alle eng aneinander gekuschelt, weil sie sich in den unendlichen Weiten des Kühlschranks fürchten.

Das Hotelrestaurant ist geschlossen, da feiert die Hochzeitgesellschaft, die wir gerade verschwitzt und mit Rucksäcken und Koffern beladen passiert hatten. Wir werden auf die Nebenstube verwiesen, ein finsterer Raum, der auf Bauernhaus getrimmt ist. Nicht ungemütlich. Der Ober versteht uns nicht, ist aber sehr bemüht und freundlich, wir bekommen leckeres Essen und ein kühles Bier und zudem noch die Musik der Partyband von nebenan. Die sind wirklich gut und spätestens bei „Disco, Disco, Partizani“ von Shantel kann ich mein wippendes Knie nicht mehr unter Kontrolle halten. Wer will kann es sich hier http://www.youtube.com/watch?v=4yVebsKnwyg anhören. Ich finde die Musik richtig super! Shantel heißt im richtigen Leben übrigens Stefan Hantel, ist ein Deutscher, mit Wurzeln in die Bukovia. Seine Großeltern mütterlicherseits stammen von dort, genauer gesagt, aus Chernivtsi. Und das erklärt, warum der Titel auf einer ukrainischen Hochzeit läuft! *grins*

Mit diesem Lied im Kopf geht’s ins Bett, morgen ist wohl Wechseltag Nummer 2 angesagt, denn bei dem anstehenden Wetter hilft, wie bereits erwähnt, nur eins: Schnell unten drunter durch!