Schaut mal die Zwei! Sind das nicht He Fu Bao und Bai Ho Tsai? – Teil 10
Von Christof Hofbauer
Jingpeng - JingpengNur kurz hat die talfahrende DF8B 5919 die morgendliche Geräuschkulisse unterbrochen. Dann dominiert wieder eine Mischung aus Insektengebrumm, Vogelgezwitscher, den Geräuschen der im Tal verlaufenden Hauptstraße, aus der das Stakkato artige Knallen der typischen, chinesischen Lastendreiräder hervorsticht, und den trägen Scherzchen der anwesenden Fotografenschar, mit denen sie versucht sich, noch müde und mit tief hängenden Lidern, für einen langen Fototag in Schwung zu bringen. Nur langsam und fast unmerklich mischt sich ein neuer Klang mit ins Bild der Töne. Ein anhaltendes Pfeifen, verbunden mit dem typisch sonoren Mahlen von Großdieselmotoren.
Der Blick geht nach Westen und dort, am Ende der Geraden, in der der Bahnhof von Xiakengzi liegt, in dem eben der Talfahrer zu stehen kommt, schieben sich zwei blau-beige-rote Maschinen um einen Geländevorsprung, am Haken eine immer länger werdende Schlange von offenen Vierachsern. Schwarz, verstaubt und bis an die Kante mit Kohle beladen.
Xiakengzi, die letzte Möglichkeit noch einmal Schwung zu holen bevor es in das lang gezogene S geht, bevor man endgültig einfährt in die Rampe hinauf zum Pass. Und der Meister kämpft, kämpft um jeden Kilometer Geschwindigkeit, treibt seine Maschinen zur Höchstleistung, gewillt seinen Zug auch diesmal über den Berg zu bringen und unbewusst, ganz nebenbei, den Langnasen, hoch über ihm auf der „Tribüne“ aus Sand und Steppengras ein unvergleichliches Schauspiel zu bieten.
Durchmessen ist mittlerweile die Gerade, kurz nimmt der Einschnitt die Sicht und dämpft den Motorenlärm, dann schieben sie sich langsam hervor, kämpfen sich in die erste Kurve, 32 Zylinder, anbrüllend gegen die Zuglast und die Topografie der Strecke, ziehen über die Straße, hinein in den nächsten Einschnitt, gleich unter unserer Position. Längst hat das Pfeifen und Hämmer der beiden großen Motoren alle anderen Geräusche überdeckt. Auch die Gespräche sind verstummt. Andächtig bestaunen wir den Kampf Maschine gegen Natur. Kurzzeitig ist auch deutlich das Mahlen und Ächzen der Räder der Wagen zu hören, untrügliches Indiz welche Last hier über den Berg gezerrt wird, dann sind die beiden Maschinen wieder hinter dem Erdwall hervor und streben langsam kriechend, mit Abgasfahnen über den Hutzen, die im Morgenlicht flirren, der großen Bogenbrücke zu. Fast elegant windet sich die Schlange über das Bauwerk, dreht die andere Seite ins Licht und verschwindet hinter dem nächsten Berg. Kurz ist noch das Rollen der Wagen zu hören, dann Stille!
Wie ein Spuck scheint alles vorbei zu sein. Nur wieder Summen, Zwitschern und das Durcheinanderplappern der begeisterten Fotografen. Doch nur kurz! Das Ungeheuer räuspert sich, erst leise nur, aus tiefster Kehle. Dann tritt es unvermittelt hervor! Mit infernalem Brüllen brechen die beiden Maschinen aus dem Tunnel, ziehen durch zwei Kurven, nähern sich unserem hohen Einschnitt, auf dessen schmalem Grad wir balancieren! Die Luft erzittert unter dem Ansturm dieser Kraft, verschluckt der Lärm das Klicken der Auslöser, nimmt einem das Schauspiel schier die Luft!
Für alle Freunde schwer arbeitender Diesel ist dieser Standort nur zu empfehlen, kann man doch schier endlos lange den brüllenden Maschinen zusehen, und vor allem auch zuhören, wenn sie die schweren Züge durch die Schleifen des Anstiegs zwischen Xiakengzi und Hadashan herauf zerren. An diesem Morgen sind DF8B 5419 und DF8B 5679 vor einem Kohlezug Hauptdarstaller dieses eindrucksvollen Schauspiels.
Ein Vibrieren, dann sind die Diesel unter uns, erreichen die erste Weiche von Hadashan, wirkt der Dopplereffekt und das Geräuschmuster ändert sich. Allmählich leiser wird das Dröhnen der Zugloks, verstärkt sich das Mahlen von Rädern, das Quietschen und Aufschreien von gequältem Metall, geben die offenen Wagons den Blick frei auf die Berge von Kohlen, die nach Osten rollen. Wagen für Wagen, Schlagen um Schlagen am nahen Schienenstoß. Jetzt rollt dumpf der Schlussläufer an uns vorbei, ist das Röhren der Maschinen noch einmal zu hören, dann verebbt der Lärm unvermittelt, als die Loks um die nächste Biegung ziehen und das Ende des Zuges sich langsam entfernt.
Verebbt und gibt das Gehör frei für das nächste Klangereignis, dass sich von fern nähert. Denn schon rollt links von uns, die wir noch wie erschlagen von dem Schauspiel auf unserem Hügel stehen, das nächste Kraftpaket durch den Bahnhof von Xiakengzi. Nimmt Anlauf, macht sich bereit den Kampf aufzunehmen gegen die Steigung, gegen das Gewicht, dass gleich an seinem Zughaken zerren wird!
Alles ganz normal, alles alltäglich! Ein ganz normaler Morgen am Jingpeng Pass eben!
Kaum ist rechter Hand das Röhren zweier schwer vor einem Kohlezug arbeitenden DF8B verklungen, kämpft sich lautstark DF8B 0072 vor einem Containerzug bergwärts.
Jaja, vor meinem geistigen Auge, oder sollte man lieber „Ohr“ sagen, höre ich jetzt wieder die Purristen aufheulen, spüre sie, wie sie sich vor Krämpfen winden! Wie, was? Der Pass, der war doch nur echt mit QJ, mit Dampfloks die sich im Gleichtakt im Schritttempo hinauf kämpften auf die Höhen, am besten bei minus 25°C, der Dampfwolken wegen!
Und ich habe höchsten Respekt vor dem, was alle die dies noch miterlebt haben auf sich genommen hatten, um hier in einem der damals hintersten Winkel des Riesenreiches auf Dampflok Jagd zu gehen. Kälte, Fußmärsche, endlose Fahrten mit Bussen und Sammeltaxis, zweifelhafte Unterkünfte und ebensolches Essen. Und ich sitze jetzt auch da, und versuche mir vorzustellen, wie es damals gewesen sein könnte, durfte ich die mächtigen QJ doch nur noch östlich von Daban erleben. Doch wir haben jetzt 2016 und die Eisenbahn der Jetztzeit hört auf die Namen DF4D und DF8B und ist vielleicht anders, überhaupt nicht zu vergleichen, aber trotzdem auf ihre Art eben auch eindrucksvoll!
Und ich möchte kein Prophet sein, aber spätestens wenn auch hier das Zeitalter der Elloks naht, werden sich die Fotografen wieder vermehrt einfinden um die letzten Diesel am Jingpeng zu dokumentieren. Und allen zu spät gekommenen, die nur noch leise summende Drehstromer im Rampendienst erleben dürfen wird man sagen, ja früher, als hier noch richtige Loks den Berg herauf brüllten, das waren noch Zeiten!
Mittlerweile hat uns auch DF8B 0072 mit ihrem Containerzug passiert. Übrigens ist sie die Maschine, mit der zweitniedrigsten Nummer, die wir fotografieren konnten. Ob sie deswegen so abgewirtschaftet aussieht, oder ob sie einfach nur einen schlechten Start in den Tag und zu wenig Zeit für eine ordentliche Morgentoilette hatte, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Auch DF8B 5419 und 5679 haben sich nochmal eindrucksvoll in Erinnerung gebracht. Sie hängen nämlich rechts von uns, weit hinten im Tal, in der Rampe und der Wind trägt immer wieder Fetzen des Brüllens ihrer Motoren heran.
Wir bleiben noch ein bisschen und richten unsere Blicke wieder gen Tal. Warten wir doch auf den eigentlichen Fixpunkt hier an dieser Stelle am heutigen Morgen. Den K995/998 von Chengdu nach Hailaer, einem Laufweg von sage und schreibe 4.123 km, der hier in diesem Abschnitt über die Jitong Linie führt. Dementsprechend ist auch eine DF4DK der JT für die Traktion zuständig. Sie hat den Zug in Ulanqap/Jining übernommen und wird ihn über den Berg bis Daban bringen.
Unglaubliche 4.123 km lang ist der Laufweg des in Chengdu gestarteten K995/998 bis er sein Ziel Hailaer erreicht hat. Dafür braucht er sage und schreibe 56 Stunden und 22 Minuten. Knapp 2/3 der Distanz hat der Zug bereits hinter sich als er, gezogen von DF4DK 3323 die Westrampe des Jinpeng Passes herauf kommt.
Mit schön lackierten DF4DK 3323 an der Spitze und der fast durchgehend grau-orangen Garnitur, macht K995/998 schon was her.
9.00 zeigt die Kamera Uhr gerade mal und schon so ein Programm! Respekt! Das bekommt man auch nicht überall auf der Welt an einer Dieselpiste geboten. Ein Grund mehr um nicht zum letzten Mal hier gewesen zu sein. Motive wären ja genug da, nur beim rollenden Material könnte es etwas Abwechslung vertragen. *zwinker* Ouh Maaan! Schon wieder diese Nörgelei! *grins*
Wir setzen uns in Marsch, wollen uns verschieben, etwas weiter „nach hinten“. Genauer in das Seitental bei der bekannten Ziegelei, dort wo die Strecke eine Schleife dreht um Höhe zu gewinnen. Auch wenn da mittlerweile so einige Stellen zugebuscht sind, der Aufforstung „sei Dank“, gibt es doch noch Plätze an denen man sich positionieren kann. Also stellen wir uns auf den Tunnel nahe Er Di. Wobei, das Hinkommen schon etwas tricky ist. Gut, dass der Weg stellenweise recht ausgewaschen und mit tiefen Fahrspuren versehen ist, ist noch im Rahmen. Bei der Abfahrt von der Straße machen aber eine Geländekante, große Steine und ein weggeschwemmter Weg schon einige, auf den Zentimeter genaue, Rangierbewegungen nötig. Gut, man hätte auch zu Fuß gehen können, aber wir wollen nicht alles an Ausrüstung mitschleppen und deshalb unsere Autos im Blick haben.
Und während Pascal erfolgreich sein Download-Guthaben dezimiert, stehen und sitzen wir Anderen nun plaudernd und schauend herum, wartend auf die Dinge die da kommen. Und sie kommen, und zwar in Form der nächsten talfahrenden DF8B.
Unschlüssig ob wir noch auf den nächsten Talfahrer warten sollen, bleiben wir noch etwas oberhalb des Tunnelportals, bis uns ein, links vor uns um die Geländekante schleichender Bergfahrer die Entscheidung abnimmt. Da er, und der eben gesehene Leerzug, der ums Eck in der Ausweiche stehen muss, die Strecke für die nächste Zeit wohl blockieren, ist jetzt der ideale Zeitpunkt für einen Wechsel. Gerne hätten wir nämlich noch ein Bild mit der Ziegelfabrik. Nur wie da hin kommen?
Versuch 1 „Unter der Brücke durch und dann rechts“ ist leider nicht zielführend. Auch ergibt sich quasi als Abfallprodukt kein weiter Blick auf die 180° Kehre mit passend Sonnenstand. Also mal direkt durch die Ziegelei versuchen. Hm, jede Menge Betrieb dort. Ob die es so spaßig finden, wenn wir hier herumturnen. Außerdem ist die Strecke hinterhalb wieder „ortsüblich“ eingezäunt. Wohl auch gerade nicht gut dort wie die Klettermaxen darüber zu kraxeln. Bleibt also nur noch die bergseitige Ausfahrt des Betriebsbahnhofs von Hadashan. Da kommt man mittels Feldweg hin, kann zumindest einen Zaun ohne klettern umgehen und dann, nach überwinden des zweiten, der Strecke entlang am Hang laufen. Soweit die Idee. Und die Wirklichkeit?
Sieht völlig anders aus. Der Hang und vor allem die Gleiskante sind bebuscht. Oder sollte man schon fast bewaldet sagen? Freier Blick auf die Schienen? Das war mal. Zudem drückt es von hinten. Röhrt es doch schon wieder mächtig den Berg herauf. Was jetzt? Einige plädieren für warten direkt neben dem Gleis. Find ich jetzt nicht so prickelnd. Blöde Perspektive und kommt sicher beim Personal auch nicht gut! Also ab ins Gelände. Dazu muss erstmal der Zaun überwunden werden. Aber wie? Fällt doch dahinter der Bahndamm steil in eine Rinne ab. Also sind Ideen gefordert. „Aus der Halterung aushängen, durch den Spalt winden und dann hinter einem wieder einhängen“ ist eine Option. Gedacht, getan. Nur Gubi ist mitgekommen, wo die anderen abgeblieben sind kann ich nicht sagen. Egal, der Zug kommt und es muss schnell gehen. Noch etwas kommt mein Begleiter mit, dann gibt aber auch er auf und bleibt zurück. Keine Chance auf ein vernünftiges Bild meint er. Ich dagegen habe die Hoffnung auf eine Lücke noch nicht aufgegeben und sprinte von Freifläche zu Freifläche, nur um immer sehen zu müssen, dass der Blick auf die Schienen verstellt ist. Nix mit Panorama und Aussicht auf‘s Tal und hinüber bis auf den Gegenhang. Zudem ist „laufen entlang der Bahn“ auch nur theoretisch möglich. In dem sandigen Gelände durchziehen immer wieder tiefe Auswaschungen mit steilen Abbruchkanten meinen Laufweg. Diese kann man nur überwinden, wenn man bis ganz hoch an ihren Anfang läuft und dort den schmalen Einflusskanal überspringt.
Als das Hämmern der Motoren schon ganz nahe ist, finde ich endlich mit knapper Not eine kleine Lücke im Bewuchs, baue mich auf, versuche den Puls zu senken und drücke ab.
Innerhalb der Reihe DF8B wurden beim Bau die vorderen Bereiche des Daches unterschiedlich ausgeführt. Bei dieser Doppelbespannung, bestehend aus Maschinen beider Varianten, lässt sich das ganz gut vergleichen. Während die vorne laufende DF8B 5098 ein steiles Dachende mit integriertem Spitzenlicht aufweist, hat die dahinter laufende DF8B 0175 die rundere, und meiner Meinung nach, gefälligere Form. Beide Maschinen wuchten an diesem Vormittag einen beladenen Kohlezug über den den Jingpeng Pass.
Was sich im ersten Moment wie ein Notschuss anfühlt, ist beim zweiten Hinsehen doch ganz nett geworden. Nicht zuletzt, bietet sich doch die Möglichkeit die beiden Kopfformen der DF8B zu vergleichen.
Mit hängender Zunge, aber durchaus zufrieden, geht es wieder zurück zu den anderen. Wobei es schon durchaus knifflig ist, die Stelle am, wie schon erwähnt, hier bergseitig steil zu einem Graben hin abfallenden Bahndamm wieder zu finden, an der wir durch den Zaun sind. Alles sieht irgendwie gleich aus. Endlich habe ich unser „Loch“ gefunden, mich mühevoll zu ihm hochgezogen und es nach artistischem Durchkrabbeln, in die andere Richtung konnte man sich nämlich fallen lassen, wieder geschlossen. Angekommen an den Autos gibt’s erstmal eines: „Durst!“. So eine Halbliterflasche Wasser kann in null Komma nix weg sein. Habt ihr das schon gewusst?
Was jetzt? Während ich noch den bergfahrenden Zug beobachte und am Gegenhang eine Stelle ausmache, die gehen könnte, gehen die Köpfe der anderen nach oben in den zunehmend verschlierten Himmel und ihre Gedanken hinüber über die Passhöhe zur Ostrampe. Da in den Schleifen, bei nur spärlich bewachsener Landschaft, da sollte doch was gehen. Wenigstens machte es gestern so den Eindruck. Zudem besteht ja die Chance, dass da das Wetter besser ist. Also hinüber!
Schon gestern hat uns der kleine Bahnübergang bei San Di begeistert. Und da er gerade so schön auf unserem Weg hinauf in die Hügel oberhalb Reshui liegt, es von unten her grummelt und wir sowieso unsere Melone, die wir bei einer Straßenhändlerin erstanden hatten, schlachten wollen, bleiben wir doch gleich mal hier. Kerne spuckend, mit klebrigen Fingern lässt es sich doch gut auf die nächste Zugfahrt warten. Nur sollte man die Griffel bei Zeiten wieder sauber haben, bevor man seinen Fotoapparat antatscht. So ein Abdruck auf der Linse oder Klebemaße für den fliegenden Sand sind dann doch nicht so das Wahre. Also ist gegenseitiges Wasserflasche halten angesagt, damit alle ihre rituellen Waschungen gründlich ausführen können, dann heißt es auch schon Position beziehen!
DF8B 0062 hat Reshui hinter sich gelassen und ist gerade durch die erste große Kehre auf dem Weg in die mittlere Ebene der Ostrampe des Jingpeng Passes.
So erfrischt, gestärkt und um eine Loknummer reicher auf dem Zettel, 0062 hat 0072 von heute Morgen als niedrigste Nummer schon wieder verdrängt, machen wir uns auf den Weg hin zur obersten Ebene der diesseitigen Rampe.
Mittels Satellitenbild geht es durchs Gemüse, wobei, gegen Erdhaufen die seit dem letzten Überflug nebst Bild aus dem All genau hinter eine Wegkurve aufgeworfen worden sind, hilft auch dieses hightec Hilfsmittel nicht, sondern nur schnelle Redaktion und gute Bremsen. Aber auch dieses Hindernis lässt sich umgehen und halb weggewaschene Wege stellen ja nun überhaupt kein Problem dar, oder? So kommen wir vor dem Gleis der mittleren Ebene auf einem größeren Platz zu stehen und haben dabei sogar die Möglichkeit unsere Fahrzeuge im Schatten zu parken. Was für ein Service.
Unangenehm ist dagegen, dass wir, wie geschrieben, auf der mittleren Ebene stehen. Eine Tatsache die impliziert, dass wir noch zur nächst höheren hinaufwandern müssen. Und damit nicht genug! Das Dogma des großen Panoramablicks erfordert es zudem, die dahinter liegenden Hügel auch noch zu ersteigen! Und das mit Gepäck und bei den Temperaturen! Wo sind die Sherpas wenn man sie mal braucht? Gerade wohl anderweitig beschäftigt! Oder ich bin für solche Dienstleistungen einfach im falschen Land. Also selbst den Rucksack geschultert, links und rechts noch eine Wasserflasche hinein, eine in die Hand und los geht’s im Gänsemarsch. Immer einer hinter den anderen her. Irgendwie gar nicht so schlimm, das Ganze. Naja, bis auf den Moment, wo man merkt, „Hey, von hier oben wird das nix! Wir müssen auf den Berg da drüben!“ Oooooh neeeeeiiiiin! Wir sind doch gerade erst HIER rauf geklettert! Warum denn jetzt schon wieder runter? Und dann da drüben NOCHMAL hoch? Warum nur? Warum?
*Verzweiflung* Aber hilft ja nichts! Wir sind ja wegen guter Bilder hier. Und da muss man schon mal etwas Opfer bringen. Und diese auch noch recht flott! Naht laut Fahrplan doch bald schon der nächste Schnellzug von Osten her. Also die dankenswerterweise von den Erbauern der Strecke angelegte Regenrinne als Rennbahn benutzt, dann den Damm der Bahn kurzerhand als Fußweg umfunktioniert und schon schleppen wir uns auf der anderen Talseite wieder die Steigung hinauf. Während die anderen tapfer zum Gipfel des Hügels hochstreben, schlage ich auf halber Höhe erstmal mein Lager auf. Schließlich darf man bei meinen Bildern auch gerne mal die Nummern der Loks lesen können. Hinauf in luftige Höhen werde ich mich, zwecks Perspektivwechsels dann später erst begeben. Währenddessen brummt und grummelt es brav und beständig unter mir. Der Schnellzug kämpft sich weithin hörbar die Schleifen herauf.
Japp, perfekt! So darf es weiter gehen. Und die Jítōng Tiělù lässt sich auch nicht lumpen und schickt gleich den nächsten Zug an den geneigten Fotografen vorbei. Nur, leider aus der falschen Richtung. Suboptimal würde ich sagen. Da bleibt nur ein Querschuss, hinüber auf die Kehre in die mittlere Ebene.
Die Schleife zwischen der dritten und der zweiten Ebene passierend, rollt DF8B 5040 auf der Ostrampe des Jingpeng Passes hinunter nach Reshui.
Jetzt erstmal „gemütlich“ hier zwischen die Stachelbüsche gequetscht, Büchlein zum Nachtragen der Fotos herausgeholt und Schirm gegen die die knallende Sonne aufgespannt. Doch so einfach und entspannt ist das Ganze gar nicht. Denn während der Wind kräftig an meinem Sonnenschutz zerrt, ich versuche Loknummern, Züge, Fotostellen sauber zu zuordnen und ordentlich in mein Büchlein einzutragen, und es von oben immer wieder Gesprächsfetzen vom Rest der Truppe zu mir herunter weht, kündigt leises, aber langsam immer lauter werdendes Röhren neues „Unheil“ an.
Ach nö, nicht schon wieder ein Güterzug von hinten! Jetzt will uns der Große Steuermann an seinem Trafo aber ganz schön ärgern. Von hier aus nochmal in die Kurve schießen ist jetzt auch ein bisschen doof, ist doch zu erwarten, dass sich der Zug, der gleich unter mir hinter der Sanddüne hervorkommen wird, im Wesentlichen nicht anders aussieht wie der, der gerade durchkam. Bleibt also nur eins, alles wieder einpacken, Rucksack schultern und weiter nach oben steigen, um vielleicht einen freieren Blick auf die Gerade der mittleren Ebene zu haben. Sicher nicht ideal, aber immerhin ein bisschen eine andere Perspektive. Ouh Maaaaann, immer dieser Freizeitstreß!!!
Mal ganz ehrlich? Ich hab schon bessere Bilder gemacht. Aber immerhin, der Blick hinunter mit der „Skyline“ von Reshui im Hintergrund ist ganz nett. Und meiner Chronistenpflicht habe ich auch genüge getan. Aber noch ein solches Bild, hier von halber Höhe, braucht es jetzt auch nicht mehr. Also, nochmal ein kräftiger Schluck aus der Buddel, dann geht’s hoch zu den anderen.
Zu den anderen!?! Von denen habe ich lange schon nichts mehr gehört!
Und das macht mich jetzt gerade etwas nervös! Sollten sie der momentanen Einseitigkeit im Betriebsablauf bereits überdrüssig geworden sein, oder das Motiv schon als abgehakt angesehen haben, und deshalb schon auf der anderen Hügelflanke am Absteigen sein?
Oder hat sie der Hitzschlag getroffen? Und sie liegen nur mehr herum wie gammeliges Dörfleisch? Bei der Sonne und den Temperaturen wäre das kein Wunder!
Oder noch viel schrecklicher! Wurden sie gar vom Gobi-Bären gefressen?!?!? *Oh mein Gott!* Grausige Bilder drängen sich mir in den Kopf.
Achtung: Insider! *grins* Der Gobi-Bär ist ein running gag von Pascal, Nil und mir, seit ich im Verlauf unserer Mongoleitour 2010 an einem verschneiten Nachmittag im Mai, im sturmumtosten UAZ, aus meinem Reiseführer vorgelesen habe, während wir darauf warteten, dass sich unsere Begleiter endlich von ihrem Tee los reißen konnten, den sie in der etwas zwielichtigen Raststätte, vor der wir gerade standen, schlürften.
Und hier sind wir nicht weit von der Heimat eben dieses Gobi-Bärs entfernt. Und was ist, wenn er, der Wüste überdrüssig, auf Urlaub hier durch die Gegend streift und sich, vom Hunger übermannt, oder besser überbärt, gerade ein Stückchen Eisenbahnfotograf gegönnt hat? Oder zwei, oder drei? Im Urlaub nimmt’s ja keiner von uns so genau mit dem Kalorien zählen. Da darf‘s auch schon mal ein Häppchen Langnase mehr sein!
Mit zitternden Knien nähere ich mich dem Plateau, schweift mein Blick angstvoll in die Runde! Dann ein Aufatmen! Die träge Bagage hat es sich nur auf den umliegenden Steinen gemütlich gemacht. So abgesessen, konnte der Wind die Gesprächsfetzen nicht mehr zu mir unten am Hang herunter tragen. Zudem hat sich der einst agile Haufen von motivierten Fotoenthusiasten in eine amorphe Masse verwandelt, die halb dösend mit und ohne schützenden Schirm hinunter ins Tal schaut. Ich geselle mich dazu, spanne meinen Sonnenschutz ebenfalls wieder auf und tue es ihnen mit glasigen Augen und immer schwerer werdenden Lidern gleich.
Auch ein schöner Rücken kann entzücken! *grins* Nil hat sich mittlerweile etwas nach hinten abgesetzt und so einen schönen Blick auf die 4 verbliebenen Langnasen.
Langsam wird’s harzig, denn die heute Vormittag ob ihres regen Verkehrs so hoch gelobte Jítōng Tiělù lässt es jetzt ganz schön schleifen. Gut eine halbe Stunde dauert es bis es wieder rollt. Und wer hätte es gedacht, es kommt wieder was von links. Hm, irgendwas scheint hier aber jetzt etwas schief zu laufen, oder?
DF8B 5930 rollt die Ostrampe des Jingpeng Passes hinunter, um anschließend dem nächsten Güterzug über den Berg zu helfen.
DAS ist ja jetzt aber mal wirklich genau das, was man sich von hier oben wünscht! Einen Einzelfahrer! *Ironiemodus aus* Kleiner geht’s nicht mehr oder? Na, jetzt mal Spaß bei Seite. Etwas Besseres als eine Leerfahrt hätte uns aus der Richtung ja nun nicht passieren können. So gibt es wenigstens einen netten Nachschuss mit Lokfront. Also mir gefällt‘s!
Was weniger gefällt ist diese unendliche Ruhe und Leere die nun eintritt, kaum dass 5930 ein zweites Mal, diesmal eine Ebene tiefer, an uns vorbei gerollt ist. Die Hoffnung, dass schon etwas bergwärts unterwegs ist sinkt ebenso schnell wie das Niveau unserer Witzchen, die wir im verzweifelten Bemühen um etwas lebhafte Konversation reißen. Die haben mittlerweile in ihrer Flachheit schon den Talgrund unter uns erreicht, während der ein oder andere Mühe hat, nicht einzuschlafen und seitlich von seinem Sitzstein zu kippen. Die, also die Sitzsteine, sehen übrigens deutlich gemütlicher aus als sie tatsächlich sind. Und spätestens seit diesem Nachmittag weiß ich, was es heißt, wenn eine Sitzgelegenheit tiefen Eindruck hinterlässt. Doch Hoffnung naht. Und zwar in Form eines bekannten Grummelns. Drüben auf der anderen Talseite, rechts von Reshui, schiebt sich gerade eine Schlage heran. Schlagartig erhebt sich die Meute, Lebensgeister kehren zurück und alle verfolgen wir den Zug auf seinem Weg nach oben. Alle? Naja, fast! Nil, der Abseitssitzer, kann sich auch jetzt noch nicht aufraffen und stößt erst zur begeisterten Menge, als der Zug vor uns schon durch die zweite Ebene zieht. Einmal noch den Berg umrundet, dann Stille, dann endlich kommt DF8B 5904 aus dem Tunnel, schlängelt sich die Wagenschlange durch das S unter uns.
Mit einem langen, gemischten Güterzug kämpft sich DF8B 5904 zwischen San Di und Liundigou in der Kehre oberhalb Reshui die Steigung herauf.
Ja schick. Sehr schick sogar. Davon hätte es ruhig mehr sein können. Also, in der Zeit wo wir hier oben gewartet haben. Denn nun, der ein oder andere ahnt es schon, ist da wieder diese Sache mit dem Licht. Wenn denn eins da wäre. Über uns hat es sich nämlich eine veritable Schmodderschicht über den Wolken gemütlich gemacht. Gut, Streulicht was Feines sein. Aber so wirklich kann der Sonnenstand nun auch nicht mehr begeistern. Und es wird nicht besser, so die Spezialisten. Und da es bis zum nächsten Fixpunkt, dem von gestern her bekannten P-Zug noch einige Zeit hin ist, steigen wir ab und wechseln. Wenn nicht jetzt, wann dann? Denn nun haben wir einen Puffer.
Diesmal sparen wir uns das bergauf, bergab, vom Herweg. Das ist das Gute, wenn man oben sitzt. Man kann in Ruhe die Landschaft erkunden. So geht es geradewegs den Hang hinunter, dann über eine Fläche hinüber zur zweiten Ebene und dort einfach immer den Gleisen nach, bis zu unseren Autos. Da stören auch die Zäune nicht, über die wir jeweils klettern müssen. Das Leben kann so einfach sein.
Über den ausgewaschenen Weg und die Hauptstraße geht es wieder zurück über den Pass, dann hoch zur Betriebsstelle Hadashan. Hui, heute bin ja ich dran den Feldweg hoch, und vor allem, wieder runter zu hoppeln. Man, genieß ich jeden Buckel den wir mit unserem braven Gefährt hinauf hüpfen. Aber Vorsicht, es ist nur ein SUV, und damit nur bedingt geländegängig. Also trotz allem Spaß: aufpassen! Schon jetzt beim Weg hinauf merk ich mir aber schon mal jede Delle, damit’s dann runter zu doppelt so schnell gehen kann! *kicher*
Warum eigentlich wieder Hadashan? Na, zum einen wollten wir bei schwindendem Licht was, wo man nahe am Gleis stehen kann. Zum anderen passt hier, sofern sie doch noch scheint, die Sonne.
Viel verpasst haben wir bei unserem Wechsel anscheinend nicht, steht doch, als wir wieder unseren Feldherrnhügel erklimmen, die eben fotografierte 5904 brav in der Ausweiche. Wenn uns also was durch die Lappen gegangen ist, dann ein Ostfahrer. Und davon hatten wir am Berg schon zwei.
Dann ist es soweit. Pünktlich wie die chinesische Eisenbahn erscheint DF4D 4304, am Haken Zug 6035/38.
Upps! Hatten wir die nicht schon? Während die schon bekannte DF8B 5904 mit ihrem Güterzug an den Rand musste, rollt DF4D 4304 mit Zug 6035/6038 durch Hadashan in Richtung Westen.
Mit einem Laufweg von 800 km ist Zug 6035/6038 von Tongliao nach Xilinhot für chinesische Verhältnisse schon fast "Nahverkehr". Hinter DF4D 4304 passiert er die in Hadashan wartende DF8B 5904.
Lokführer und Beimann auf der DF4D haben sichtlich Spaß an uns. Kein Wunder! 5 Langnasen, die am Streckenrand herumturnen, um sie und ihre Fuhre aufzunehmen. Sieht man ja mittlerweile nicht mehr alle Tage in dieser Region.
Ob sich der Meister auf seiner DF8B das auch gedacht hat, das „guck mal wer da steht“, als er uns kurz danach passierte? Wohl eher nicht. Sein stoisch nach vorne gerichteter Blick sprach eigentlich nicht dafür.
Nachdem sie Zug 6035/6038 hat passieren lassen, macht sich DF8B 5904 wieder auf den Weg hinunter nach Jingpeng.
Übrigens, gleich nach dem der P-Zug durch war, machte sich ein Güterzug auf den Weg in Richtung Pass. Auf den Bildern vom P-Zug fast verdeckt, hatte er am rechten Gleis auf die Kreuzung gewartet. Ganz schön effektiv dieser Betriebsablauf hier.
Und was nun? Der Blick auf die Uhr verrät, es ist noch nicht mal fünf. Eindeutig zu früh um jetzt schon abzubrechen, auch wenn das Licht sich jetzt komplett hinter Wolken und Siff verabschiedet hat und die ISO Zahl auf unseren Kameras schon bei 400 steht. Ein bisschen halten wir noch aus, oder?
Und wir werden belohnt! Also, wenigstens ich! Der Sammler! Die anderen sehen das wohl etwas anders, rollt doch nur so ein doofer Einzelfahrer durchs Bild. Für mich ist’s eine Nummer mehr auf meiner Liste. 5676 gab sich nämlich bis dato noch nicht die Ehre auf meinen Chip zu wandern. Na dann! *klick*
Nachdem sie geholfen hat einen Zug über den Pass zu bringen, läuft DF8B 5676 nun wieder leer zurück nach Jinpeng.
So, nun ist aber auch gut. Motiv und Licht geben jetzt wirklich nicht mehr her. Auch wenn uns die Bahn, quasi zur Motivauflockerung, noch zwei orange-gelbe Männchen geschickt hat. Vom Ansatz her gut gemeint und lobenswert, in der Praxis aber von eher geringem Nutzen. Also packen wir ein und satteln unser Gefährte. Und um ehrlich zu sein, wir alle sind vom heutigen Tag ein bisschen durch.
Schon sitze ich in unserem fahrbaren Untersatz, voll Vorfreude auf die nun folgende Abfahrt hinunter zur Hauptstraße, bereit den Boliden zu starten, da fliegt hinter mir unvermittelt die Tür auf und gut 80 kg Lebendgewicht schwingen sich in den Fond unseres SUV. Na, da guckst! Gubi hat seine Crew schnöde zurückgelassen und spontan das Fahrzeug gewechselt. Er weiß was ich vorhabe und will sich den Spaß nicht entgehen lassen. Also: „Gentlemans, please start the engines!“
Aber erstmal heißt es warten, und warten, und warten! Gunar ausreichend Vorsprung lassen, denn, um es mit Honni’s Worten zu sagen, wenn er August Bebel zitierte: „Den Hofbauer in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf!“ Aber wohl ein silberner Plastik SUV made in China. Also Geduld Brauner, oder, in unserem Fall besser, stark verstaubter Schwarzer.
Dann ist der Weg frei, Räder malen im Staub, ein Automatikgetriebe quält sich übelst durch die Gänge und heidewitzka, hinunter geht es auf dem kurvigen, ausgewaschenen, holprigen Feldweg. Volle Kanne, was die Kiste so hergibt.
Naaa gut! Ganz so dynamisch wie gewünscht ist der Ritt nun auch nicht. Für sowas ist unser Gefährt einfach nicht ausgelegt, und so träumt der Fahrer, während von hinten abwechselnd Schreie des Entsetzens und der Freude an sein Ohr dringen, von einem hochbeinigen, geländegängigen Pickup, während er gleichzeitig bemüht ist das Auto vollständig, also mit Ölwanne, Unterbodenabdeckung, usw. unten an die Einfahrt zur Hauptstraße zu bringen.
Lustig war’s trotzdem! Und auch wenn die akustische Untermalung durch Gubi, im Bemühen zusätzlich Spannung und ein Gefühl von action zu vermitteln, in manchen Ausprägungen etwas übertrieben waren, drei glückliche Langnasen sitzen breit grinsend in ihrem kleinen, schwarzen, schmucken Reiskocher!
Auf der Hauptstraße geht es nun wieder deutlich gesitteter in Richtung Jingpeng. Fenster offen, Restbehaarung flatternd im Wind. Wo hab ich das schon mal gesehen?
Und da es noch nicht soooo spät ist heute, genehmigen wir uns noch einen Abstecher in Richtung Bahnhof, getreu dem alten Fotografenmotto „Es könnte ja noch was drin stehen!“ Doch der Bahnhof ist blickdicht verbaut. Keine Chance ohne größeren Aufwand an die Gleise zu kommen. Also geben wir das Vorhaben auch schnell auf. Erst recht, weil das ganze Gelände bis auf eine vor sich hin blubbernde DF8B, in der wir die 5676 von eben vermuten, leer scheint. Also nur schnell vor zum Vorplatz zum Wenden und bei der Gelegenheit kann man ja schnell aus dem Fenster ein Bild des architektonischen Kleinods schießen.
Satz mit x, war wohl nix. Also ist Feierabend. Rüber auf die andere Talseite, Autos ausgeladen, unser Stockwerk erklommen und auf’s Bett geflätzt. Wie immer lasse ich Nil bereitwillig in Sachen Bad den Vortritt. Lieber bleibe ich erstmal ausgestreckt auf der Liegestatt und mime den toten Frosch. Doch lange währt mein Glück nicht, da springt er auch schon wohlriechend aus der Nasszelle, wirft sich in frische Klamotten und ich bin dran als Nummer Zwei. So schön und verlockend das Ruhen gleich nach der Ankunft ist, so sehr verfluche ich es anschließend immer. Denn jedes Mal bedeutet es Hektik. Denn während ich noch frisch frottiert und in Reizwäsche durchs Zimmer irre, klopft es schon ungeduldig an der Tür und die Meute scharrt mit den Hufen. Teils vom Hunger getrieben, teils von dem quälenden Gedanken, dass man nun für eine gewisse Zeit von Hotel W-Lan und Netz getrennt ist.
Heute geht’s zum Essen nicht hinunter in die Stadt. Dazu sind wir viel zu kaputt. Zudem lockt, nur wenige Schritte vom Hotel entfernt, ein Hot Pot. Und für alle die bei diesem Namen jetzt unsittliches vermuten, nein, es ist nichts dergleichen. Es ist schlicht und ergreifend ein Fondue, nur mit Brühe. Ganz lustig und lecker! Wenn man’s mag. Gut, die Begeisterung zieht sich nicht durch die ganze Truppe, aber hey, mitgefangen, mit gehangen.
Drinnen ernten wir erstmal viele teils erstaunte, teils amüsierte Blicke. Man kennt es ja mittlerweile. Dann werden wir, nachdem wir mittels international verständlichem Ausdruckstanz unser Begehr vorgetragen haben, in das Labyrinth der Gänge in den verschiedenen An- und Ausbauten des Hauses geführt. „Hat wer Erbsen dabei, die wir streuen können? Wir finden ja hier nie wieder raus!“
Am Ende werden wir in einen Raum gequetscht, quasi in ein Separee, in dem nur wir, vier Stühle und ein Tisch mit Herdplatten Platz haben. Gut, die Anordnung schützt wenigstens vor dem Umfallen nach allzu viel Biergenuss. Das wird dann auch gleich in Mengen geordert. Wir sind schließlich große Männer und haben großen Durst! Jawohl!
Bier bestellen klappt mittlerweile ganz flüssig. Und auch beim Essen sollte es heute leichter gehen, wird uns doch eine Karte mit Bilder präsentiert, dass sollte helfen. Sollte……
Denn sehen wir so wenigstens was geboten wird und haben auch etwas zum darauf zeigen, behalten doch manch der offerierten Ingredienzien aber trotz Visualisierung das Geheimnis ihres eigentlichen Seins für sich. So zum Beispiel die verschiedenen „Fleischsorten“, die alle aussehen wie bei uns aufgeschnittener, nicht geräucherter Bauchspeck, aber von unterschiedlichen Tieren stammen sollen, dürften, müssten….
Und auch die Zusammensetzung des Hauptbestandteils des anstehenden Mahls, der Brühe, bleibt so naturgemäß im Dunkeln. Daher verlasse ich mich wohl oder über auf Bauchgefühl und Logik: „Wenn die Brühe rot ist, dann ist sie scharf!“ Schließlich möchte ich ja keine lahme Plörre in der dann geschmacklos Fleisch und Gemüse plantschen können. Ich will etwas mit „krawumm“!
Na gut, ich geb ja zu, ihn China von der Farbe auf den Inhalt zu schließen ist schon mehr als optimistisch! Schließlich ist hier eine Vielzahl von Dingen mehr oder weniger geschmackvoll oder appetitlich eingefärbt, was bei eingehender Verkostung mit dem visuellen Eindruck nicht mehr das Geringste zu tun hat. Aber was kann bei Brühe denn schon schief gehen?!?
Jetzt noch das bestellt, was später in den diversen Töpfen den Freischwimmer machen soll. Naturgemäß möchte jeder was anderes und die Mägen geben fleißig knurrend auch ihren Senf dazu. Also kurz, wir bestellen mal wieder viel zu viel! Aber wie war das weiter oben mit den großen Jungs? Und wir haben schließlich Hunger, richtig Hunger!
Und so werden, während wir, mittlerweile versorgt mit Bier und Brühe im Topf, uns die Zeit mit trinken und dem Erkunden der Funktionsweise der in den Tisch eingelassenen Herdplatten vertreiben, auf dem Tisch, vor dem Tisch und sogar auf einem extra herbeigerollten Servierwägelchen auf dem Flur vor unserer „Speisekammer“ all die Dinge aufgefahren, die wir zu versenken gedenken. Dann mal los!
Stück um Stück wird nun dem Bade in der leise vor sich hin siedenden Brühe zugeführt. Unter viel Geschnatter starrt die fröhliche Runde in das jeweilige trübe Nass, wartend das die ersten der Freischwimmer, für gut befunden, wieder herausgefischt und zum Verzehr frei gegeben werden können. Auch ich befördere nun die ersten Teile wieder aus meiner würzig riechenden Brühe und schon der erste Biss zeigt, mit meiner Vermutung dass rote Brühe gleich scharfe Brühe ist, lag ich gar nicht mal so daneben. Doch hatte ich eigentlich an etwas mit „krawumm“ gedacht, habe ich augenscheinlich etwas mit „ratazongpengschmetterpfeiff“ bekommen!!! Es ist scharf, unendlich scharf und ruck zuck brennt alles was sich unter dem Oberbegriff „Mundraum“ sammelt. Schnell noch ein Bier hinterher! Prost!!!
Es ist lecker! Und eigentlich habe ich ja auch nichts gegen Schärfe. Aber ebenso bin ich der Meinung, ich hätte heute unterm Tag schon genügend geschwitzt. Nach Kühlung hechelnd wie ein Hund läuft mir das Wasser nahezu aus allen Poren! Es ist abartig scharf! Und mit jedem Bissen wird es schlimmer! Aber hilft ja nichts, da muss ich jetzt durch. Nur nicht unter den hämischen Blicken der Anderen einknicken. Bleib stark!
Planmäßig und mit ordentlich Tempo vernichten wir die um uns herum aufgeschichteten Lebensmittelvorräte, wobei mein Wunsch nach einem ausgiebigen und langanhaltenden Feuerwehreinsatz in meiner Kehle immer mehr die Oberhand gewinnt. Langsam lasse ich auch die Maske des taffen Kerls fallen und beginne etwas „herum zu heulen“. Macht auf meine Mitesser aber eher einen belustigenden Eindruck, als dass sie mir hilfreich zur Seite springen. Als ich schon fast kapitulieren möchte, lässt sich Nil doch herab. Nachdem er einige Male wortreich betont hat, wie mild, aber gleichzeitig schmackhaft, seine Brühe doch wäre, er aber genauso gerne und ohne die geringsten Probleme richtig scharf, und damit meine er richtig richtig scharf, essen würde, ist er zum Tausch der Töpfe bereit. *puh* Er ist mein Held des Abends!
Doch die Freude währt nur kurz. Denn während ich noch die ersten wohltuenden und schmerzdämpfenden Bissen aus der Version mild genieße, nimmt das Gesicht meines schräg Gegenübers unversehens eine rötliche Farbe an. Eine Farbe, nicht unähnlich der der Brühe, mit der ER jetzt gerade kämpfen muss! *grins* Wie war das? Richtig richtig scharf?
Viel früher als mir lieb ist, hießt er nun seinerseits die weiße Fahne, und so muss ich ordentlich kämpfen, um Zeit heraus zu schinden, bis wir die Töpfe wieder zurücktauschen. Und während er sich wieder auf Normaltemperatur bringt, wage ich noch einen kurzen Trip durchs „Feuerland“ bevor auch ich endgültig aussteige, während zarte Rauchwölkchen links und rechts aus meinen Mundwinkeln quellen.
Ob wir, vollgefressen wie wir sind, überhaupt noch hinter unserem Tisch hervorkommen und den engen Raum verlassen können? Vor uns die Tischkante, hinten die Rückwand jeweils am Anschlag? Es geht! Mühevoll, aber es geht.
Auf dem Flur dann noch ein kurzes Fußballspiel Deutschland/Schweiz gegen China mit einem kleinen Gast des Hauses, dann poltern wir ins Freie. Gut das es nicht weit bis zum Hotel ist. Weil ob wir wollen oder nicht, wir müssen laufen. Rollen, eine Fortbewegungsart die unserer aktuellen Körperform wohl besser liegen würde, geht nicht. Es geht bergauf. Na denn! Hoch ins Hotel, hoch ins Zimmer, raus aus den Klamotten, Fenster auf und Gute Nacht! Mehr erwähnenswertes gibt es von den nun folgenden Minuten nicht mehr zu berichten.
Doch halt. Eines vielleicht noch! Der Entschluss, mit dem wir heute den ganzen Tag schwanger gegangen sind, hat sich nun zum Programm für morgen verfestigt. Wir brechen hier auf und fahren nach Westen. Unter der Schlechtwetterfront durch, die das über Sibirien liegende Tief mal wieder wie einen bösen , drohenden Finger zu uns schickt. Dahinter soll es wieder schöner werden. Also, eine logische Reaktion, einfach entgegenfahren, damit man’s schneller hinter sich hat. Doch ganz so glücklich bin ich nicht. Gäbe es hier doch noch genug Nettes für den Chip. Wie die Ecke östlich von Daban zum Beispiel. Oder aber etwas Forschungsarbeit entlang der in den letzten Jahren neu gebauten Strecken nördlich von uns. Doch leider, ich konnte mich nicht durchsetzen. Also heißt es morgen früh raus, den Schnellzug aus Westen auf der großen Brücke nahe Jingpeng abpassen und dann auf! *seufz* Wenn es so sein soll! Dann mal gute Nacht!