Altbaustrecken in Spanien – Teil 1: Prolog und Martín-Gil-Viadukt
Von Daniel Wipf
PrologChristi Himmelfahrt stand vor der Tür und ich hatte noch nichts vor. Da meine bessere Hälfte ein volles Programm hatte, wollte ich die Zeit nutzen um ein paar Fotos zu machen und machte mich daher auf die Suche nach einem passenden Ziel. In der Schweiz und Mitteleuropa sollte nach aktueller Prognose das Wetter eher wechselhaft sein und schied daher aus. Schade eigentlich, hätte ich doch noch ein paar offene Punkte gehabt. Nun ja, wohin soll man, wenn man gutes Wetter braucht? Genau, Spanien. Soeben erst aus Spanien zurückgekehrt hatte ich schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen wieder dahin zu fliegen (Umwelt, CO2 und so)…aber nach langem hin und her entschloss ich mich nochmals nach Spanien zu fliegen….oder wenigstens eine Richtung mit dem Zug zu absolvieren.
Nachdem mich das Land der ewigen Sonne auf der iberischen Insel das letzte Mal nicht gerade mit Wohlwollen empfangen hat (Strecke dicht, Güterverkehr mau, etc.), wollte ich der ganzen Geschichte nochmals eine Chance geben. Zuoberst auf meiner Liste stand das Viadukt Martin-Gil bei Zamora, kurz gefolgt von der Linie Albacete – Murcia. Beides Strecken, auf denen es in den nächsten Jahren verkehrsmässig starke Veränderungen geben wird. Über die Brücke wird nur nach der Eröffnung der Neubaustrecke nur noch Regionalverkehr fahren, während die Strecke Albacete – Murcia einen Teil des Verkehres an die Strecke Alicante – Murcia verlieren wird. Dass die beiden Strecken nicht gerade nebeinander lagen war mir bewusst, doch in den 4 Tagen kann man sich ja auch bewegen.
Bevor es mit der Detailplanung los ging, musste zuerst einmal der Hin- und Rückweg organisiert werden. Die Flugsuche im Internet wurde angeschmissen und mal nach günstigen Flügen gesucht. Dies stellte sich schwieriger dar als gedacht. Naja, anscheinend will an Christi Himmelfahrt jeder nach Spanien und der Markt funktionierte wunderbar. Angebot und Nachfrage spielten sich auf und so gab es Flüge Zürich – Madrid – Zürich für schlappe 500€. So dringend muss ich dann auch nicht wieder nach Spanien. Dennoch habe ich ein bisschen weiter rumgesucht und Freiräume bei der Flugsuche eingebaut. Bald schon fand ich was passendes. Zürich – Madrid am Mittwoch und Alicante – Zürich am Samstagabend waren mit 120€ für Hin- und Rückflug die günstigsten Flüge auf die iberische Insel, die ich fand. Klar, ich war ein Tag versetzt von den üblichen Feiertagen, doch da war ich flexibel genug. Der Rückflug von Madrid wäre definitiv zu teuer gewesen. Der Versuch den Rückflug durch die Bahn zu ersetzen scheiterte an der Verfügbarkeit der Tickets auf der Achse Madrid – Barcelona…und zeitmässig ging das auch nicht auf. Also, Flug gebucht…und sich mal Gedanken zum Drumherum machen.
Da sich ein Arbeitskollege nach der letzten Tour beschwerte, dass ich sofort in Madrid ins Auto stieg anstatt den Zug zu nehmen wollte ich diesmal so viel wie möglich mit der Bahn machen. Auf jeden Fall der lange Weg nach Alicante, da ich keine Lust auf 8 Stunden Autofahren hatte. Ein bisschen gesucht, wo Autos verfüg- und bezahlbar sind, welche Kombinationen mit der Bahn in Frage kommen….und schon hatte ich zwei flexible RENFE Tickets in meinen Händen (oder auf meinem Handy). Der Plan stand und sah wie folgt aus:
Mittwoch: Anreise und Zugfahrt Madrid – Valladolid. Übernahme eines Mietwagens und Fahrt nach Zamora an die Brücke (in Zamora gibt es leider keine Mietwagenvermietung am Bahnhof, sonst wäre ich nach Zamora gefahren)
Donnerstag: Morgenfotos an der Brücke, Fahrt mit dem Auto zurück nach Valladolid und Rückgabe des Mietwagen. Fahrt mit dem AVE Valladolid – Madrid und Madrid – Alicante. Übernahme eines neuen Mietwagens
Freitag: Fotos in der Region Albacete – Murcia
Samstag: Fotos in der Region Albacete – Alicante und am Abend Rückflug ab Alicante nach Zürich.
Mal schauen ob alles klappen wird….
Mittwoch, 29.05.2019
Früh morgens kurz nach 5 klingelte der Wecker. Ein früher Flug erfordert auch frühes Aufstehen *stöhn*. Pünktlich um 05:44 sass ich in der S-Bahn zum Flughafen und füllte mein Handy noch mit passender Reisemusik. Die Schlage an der Sicherheitskontrolle am Flughafen war angenehm kurz und der Flieger pünktlich fürs Boarding erreicht. Eine C-Series von Swiss sollte es sein. Nicht ganz voll verliessen wir Zürich pünktlich bei Bewölkung und Regenschauer und erreichten Madrid zwei Stunden später bei Sonnenschein und angenehmen 25°C. Da ich wieder mal nur mit Handgepäck unterwegs war war ich schnell aus dem Flughafen raus und fuhr mit der Metro zum Bahnhof Madrid Chamartin, welchen ich kurz vor 10 erreichte. Super, den kurz nach 10 sollte ein Zug nach Valladolid fahren. Reserviert hatte ich erst kurz nach 12 (Reserve aufgrund des Fluges, man weiss ja nie), doch dank flexiblem Ticket sollte das kein Problem sein. Denkste! Am Informationsschalter wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass der Zug «completo» sei, also Voll! Voll?? Gibt’s doch nicht. Da war leider nichts zu machen und ich musste mir die 2 Stunden um die Ohren schlagen.
Ein Kaffee gleich neben dem Bahnhof bot Steckdosen und kostenfreies WLAN…und so sass ich gute 2 Stunden da und erledigte noch dies und das mit dem Laptop. Die Zeit verging im Flug und als es 11:45 war, machte ich mich auf in Richtung Gleis. Die obligatorische Sicherheitskontrolle beim Bahnsteigzugang war von kurzer Dauer (caballero, die Fototasche auch!) und der bereitstehende Zug war schnell geentert. Avant 8129 sollte es werden, der entgegen meinen Hoffnungen auf ein S-114 mit einem S-120 geführt wurde. Ein vierteiliger Triebzug, der zwischen 2006 und 2010 in 57-facher Stückzahl von Alstom und CAF gekauft wurde.
Die Zugfahrt war äusserst kurzweilig. Nachdem der Bahnhofsbereich von Madrid (fantastisch was da alles so im Bw rumsteht bzw. rumgammelt) ging es mit 250km/h durch den Guadarrama-Tunnel und immer weiter in Richtung Norden. Die Landschaft war bereits bekannt, musste ich doch vorletzte Woche alles mit dem Auto von Léon nach Madrid fahren. Nach einem kurzen Halt in Segovia erreichten wir pünktlich kurz nach 13 Uhr Valladolid. Der Bahnhof war beinahe ganz leer und so erreichte ich den Mietautoschalter ohne grosse Umwege. Budget war diesmal die Firma des Vertrauens…und als adäquates Fortbewegungsmittel war ein Fiat 500 reserviert. Dieser war jedoch ausverkauft und so kam ich in den Genuss eins «Upgrades». Ob der erhaltene Citroen Elysee wirklich ein Upgrade war mag ich zu bezweifeln, aber immerhin hatte er 4 Räder und tat somit seinen Zwecke.
Dank ausgezeichnet ausgebauter Strasse erreichte ich die Stelle in Zamora nach gut 1.5 Stunden und parkierte mein Auto am Rand eines Feldes. Da drüber, dann die Wiese runter und schon war man am Stausee. Soweit die Theorie. Die vermeintliche Wiese (nach Google Earth) war ein Hang, welcher mit zahlreichen Büschen bewachsen war und ein Hindurchkommen extrem mühsam. Ein Blick auf den Fahrplan drängte mich jedoch zur Eile…und irgendwie bin ich dann auch dahin gekommen wo ich hinwollte.
Ich wartete eine gute halbe Stunde…und der erwartete Zug tauchte nirgends auf. Als dann auch der Gegenzug zur errechneten Planzeit ausblieb überkam mich ein komisches Gefühl. Wo sieht man die aktuelle Pünktlichkeit der Züge? Genau…in der RENFE-App. Nicht etwa auf der Website von Renfe, da habe ich das noch nicht gesehen. Also kurzerhand die App runtergeladen (Europaroaming sei Dank!). Die Konsultation der akutellen Ankunftstafel in Zamora brachte auch nicht viel Licht ins Dunkle. Zwar sollte alles ein wenig Verspätung haben, doch hätte der Zug gemäss aktueller Ankunft bei mir durch sein sollen. Komisch?! Nun ja, es blieb mir nichts anderes übrig als an der Stelle zu warten…und so klickte ich neugierig ein bisschen in der App rum.
Kreuzefix und verflucht. Schienenersatzverkehr seit heute Morgen um 06:00 aufgrund einer Störung zwischen Pueblo de Sanabria und Zamora. Natürlich lag die Brücke genau dazwischen. Das gibt’s doch nicht! Die Strecke sollte erst am 24. wieder auf gehen und die Neubaustrecke steht kurz vor der Eröffnung. Dies war wirklich meine letzte Chance auf ein Bild hier! Da MUSS was kommen! Pläne wurden gedanklich umgeändert, Autos storniert und bestehende Mietverträge verlängert. Zum Glück hatte ich ein flexibles Ticket von Valladolid nach Alicant. Doch eigentlich wollte ich Freitag da sein…*grmlb*. Nach etwas Rumgefluche und abchecken von Möglichkeiten (nein, das Auto kann nicht kostenfrei storniert werden, nein, die Züge an den anderen Tagen waren eigentlich auch voll) hiess es einen kühlen Kopf bewahren. Grundsätzlich konnte ich nichts tun als hier an der Stelle zu bleiben und auszuharren. Vielleicht…mit etwas Glück…kommt heute noch was. Auch wenn es nur ein Bauzug ist. Der würde reichen! Trotzdem fragte ich mal in meinem Netzwerk rum ob wer was wisse und schnell bestätigte ein Kollege aus Andalusien, dass es heute Nacht in Zamora eine Engleisung gegeben hätte. Der Düngerzug nach Galicien wollte nicht in den Schienen bleiben. Ein Ende einer Störung wurde in Spanien i.d.R. nicht vorhergesagt, er konnte mir da auch nicht weiterhelfen. Hmm, was nun? Mal schauen gehen? Nein, ich wollte ein Zug an der Stelle…und wenn ich jetzt ginge…dann kommt garantiert etwas. Ich drückte etwas lustlos auf meinem Handy rum und entdeckte die Twitteradresse sowie den Facebook-Messenger vom RENFE Kundenkanal. In der Schweiz oder Deutschland soll das ja prima funktionieren…und so tippte ich ohne grosse Hoffnung die Frage in mein Handy, ob der Kundendienst mir sagen könne, ob da noch was kommt heute.
Etwas überrascht kam auf Facebook innerhalb von 3 oder 4 Minuten eine Rückmeldung. «Es sei ein Busersatzverkehr eingerichtet, ich könne mein Ticket bei einem verpassten Anschluss ganz einfach umtauschen». Naja, nicht gerade dass was ich wollte, doch immerhin eine Rückmeldung. Schnell tippte ich, dass ich kein Ticket hätte sondern an der Brücke stünde und ein Foto machen möchte. Wann den die Störung beendet sei. Die Antwort liess nicht lange auf sich warten und versetzte mich in Freudenstimmung. «Die Störung sei seit gut 10 Minuten behoben und es müsse in wenigen Minuten ein Zug über die Brücke fahren». Wow, dass war ja mal eine Antwort. Mal schauen.
Der Kundendienst sollte recht behalten und der versprochene Zug kam exakt 3 Minuten nach seiner Antwort. Vielen Dank RENFE!
Meine Planung für die Züge war natürlich gänzlich hinfällig, rechnete ich doch jetzt damit, dass einfach kommt was noch nicht gekommen ist. Die Live-Ankunfts-/und Abfahrtstabelle von Zamora half mir bei der weiteren Planung. Angeblich sollte es heute noch 4 Züge sein, zwei pro Richtung. Den einen Zug, der aufgrund der Störung nun in Summe weniger kam, konnte ich verkraften.
Nachdem ich mit der Querstelle unten am Stausee zufrieden war, wollte ich hoch zum Brückenkopf. Dort liessen sich die Züge spitzer und grösser ablichten, wobei die ideale Stelle leider durch ein grossen Strommasten zunichte gemacht wurde. Schade!
Das Licht drehte schneller raus als ich dachte und mangels Alternativen fuhr ich zurück nach Zamora. Die Strasse führte mich mehr oder weniger parallel zur Strecke und ich konnte auch einen Blick auf die kurz vor Eröffnung stehenden Neubaustrecke werfen. Sieht alles sehr fertig aus! Beim Betriebshof entdeckte ich dann noch eine 319 mit Kessel und Schiebewandwagen, welche ich auch noch auf den Chip brachte.
Nun, die Neubaustrecke, das war so ein Ding. 415km, von südlich von Valladolid bis nach Galicien würde sie in ein paar Jahren reichen, Einspurig, mitten durch die galizische Pampa. Für 4 oder 5 Züge pro Tag. Der genaue Eröffnungstermin ist noch unbekannt, doch dies geschieht alles etappenweise. Gerüchtehalber sollte die nächste Etappe zwischen Zamora und Pedralba bereits am 1. Juni also in 2 Tagen erfolgen. Kürzere Fahrzeiten auf der RENFE-Website bestätigten dieses Gerücht. Fertig sah die Strecke auf jeden Fall aus…und die Testfahrten seien angeblich auch schon abgeschlossen. In Pedralba wurde vor 2 Wochen noch gebaut, weshalb ich damals nicht an die Strecke konnte. Neue Weichen wurden eingebaut um die Neubaustrecke mittels Spurwechselanlage an die Bestandsstrecke zu verbinden. Naja, keine grossen Sachen mehr auf jeden Fall.
Zu sehen gab es hier auf jeden Fall nicht mehr allzu viel. Einige Stellen, die durch die Neubaustrecke zerstört worden sind bzw. eine neu trassierte Altbaustrecke waren der aktuelle Zustand. So fuhr ich ohne abzuwarten nach Zamora rein und wollte noch einen Blick auf den Bahnhof und die Altstadt werfen, ehe ich mich im Hotel ausbreitete. Von der Entgleisung war nichts zu sehen und die Altstadt war auch eher ernüchternd. So war ich kurz nach 20:00 mit dem «Pflichtprogramm fertig» und wieder an dem Punkt, an dem die Sonne noch relativ weit im Himmel stand und theoretisch bald ein Zug hätte in Zamora abfahren müssen. Ca. 5km vor der Stadt hatte ich doch was gesehen….
Nun, anstatt 20:30 fuhr der Zug in Zamora um 21:15 los und die Sonne fiel und fiel. Trotz Nervenkitzel war ich am Schluss glücklich über das Foto und fuhr zu meinem etwas ausserhalb der Stadt gelegenen Hotel.
Das «Rey Don Sancho» sah von Aussen so aus, als könne man die Zimmer stundenweise zahlen…und die Umgebung tat auch ihr übriges. Auf Booking.com und Google verhiess die Bude mehr zu versprechen als sie aussah…und so hatte ich nach kurzer Zeit ein schönes Zweibettzimmer für 45€. War wirklich nicht so schlecht!
Das zugehörige Restaurant bot nach einer Dusche "Ensalada Mixto" und "Entercote a la plancha" zusammen mit einem Törtchen als Nachtisch feil und der Tag wurde gebührend mit einem Bierchen beendet. Der Erfolg des Tages hing wohl an einem seidenen Fädchen, dass zum Glück standhielt.