Spätsommer in Finnland (5/8)

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Dienstag, 24.08.2021

Drei Leute routiniert in kürzester Zeit durchs Badezimmer geschleust, dann geht es ab in den Frühstücksraum, um sich durch das überraschend reiche Buffet zu pflügen. Alles in einer Mischung aus relaxtem Urlaubsmodus und Beachtung des Zeitfaktors. Denn wir haben ja einen Plan.

Draußen erwartet uns, drücken wir es mal vorsichtig so aus, Kühle und eine durchaus steife Brise. Dafür ist der Himmel wie leergeputzt. Nur blickt man weiter westlich, hinaus in Richtung Ostsee, kündet ein Wolkenband vom nahenden Unheil.

Wettertechnisch ist also alles im grünen, oder sollte man in diesem Fall besser sagen, im blauen Bereich. Ob das aber auch für erwartete Zugleistung gilt, ist eher zweifelhaft. Denn es gibt sehr viele Trassen im Fahrplan zwischen Naantali und Turku. Eigentlich zu viele, schaut man sich Hafen und Peripherie auf dem Luftbild an. Und die etwas kryptische Bemerkung hinter den meisten der eigetragenen Fahrten, die der Übersetzer mit „Auslastung kann schwanken“ ausspuckt, lässt ich mühelos mit „verkehrt bei Bedarf“ interpretieren. Und warum sollte der Bedarf gerade heute sein?

Also ist etwas Skepsis angesagt, als wir uns nahe Paikkari an einem Feldwegübergang aufstellen. Den haben wir uns auf der Karte ausgekuckt. Und sollte es da nicht gehen, dann ist gleich 200 m weiter vorne der nächste.

Und siehe da, er geht wirklich nicht. Noch nicht. Denn die Sonne steht um die Uhrzeit tiefer als gedacht und ein langer Schatten zieht sich vom Standort bis hin zum Auslösepunkt. Hm, ob sich das ausgeht? Sprich, ob die Sonne so weit steigt, bis zum Eintreffen des Zuges, von dem wir nicht wissen, ob er wirklich fährt, dass die Szenerie frei von Schatten ist? Wir haben da so unsere Zweifel.

Also mal den Bahnübergang weiter vorne probiert. Da hat es nun voll Sonne, aber auch Bewuchs gleich am Gleis. Folge, es gäbe ein lichtdurchflutetes Luftkissenfahrzeug Bild. Meint, viel gelb-grüne Biomasse, aber kein Fahrwerk. Und wieder verlangt es mich nach meiner Cola-Kiste. Also zurück das Ganze. Zurück in den Schatten und zur Hoffnung, dass die Sonne sich rechtzeitig hebt, der Zug überhaupt fährt, er wenn, dann so kommt, dass wir noch wechseln können, dass wir den zweiten Zug, auf der Linie von Uusikaupunki her, ebenfalls noch erwischen.

Ganz schön viel Hoffnung für so einen Morgen!

Ein Blick abwechselnd auf Julia und die Uhr macht klar: Zeit ist doch relativ!

Denn, während die Abfahrtszeit des Nahgüterzugs in Naantali nun so gar nicht näher rücken will, verfliegen die Minuten förmlich, schaut man auf die sich nur zögernd steigen wollende Sonne am Himmel und den, sich mittlerweile schon bedrohlich näherndem Zug aus Uusikaupunki. Und dabei wissen wir ja immer noch nicht, ob wir hier nicht auf ein Phantom warten.

Wie sieht es aus? Na, er steht noch! Gut, ist jetzt auch keine so große Überraschung, denn bis zur Planabfahrt sind es noch ein paar Minuten. Und während wir starr den Schattenrand fixieren und uns zur Ablenkung über die Vor- und Nachteile spiegelloser Kameras austauschen, steht doch bald eine Ersatzbeschaffung für die aktuelle an, keimt eine wichtige Frage auf: Wie lange geben wir der Fuhre hier Zeit, sollte sich zur im Fahrplan genannten Abfahrt noch nichts rühren, bis wir hinüber wechseln? Hinüber zur anderen Strecke und dem schon genannten Zug. Von dieser Entscheidung hängt ab, ob wir zumindest einen, im Idealfall beide oder im worst case gar keinen erwischen. Das Zeitfenster geschätzt 10 Minuten! Maximal!

Die Zeit am Handy springt um! Und jetzt? Noch nichts, die Auskunft von Nil, der Julia nicht aus den Augen lässt! Soll ich schon mal das Auto drehen? Wäre vielleicht keine schlechte Idee. Denn das könnte die Minute sein, die uns andernfalls am Ende fehlt.

Kaum streck ich den Kopf wieder aus der Autotür, kommt auch schon der Ruf: rollt!

Erlösung? Nein, die Kaugummizeit ist immer noch mit uns und mit PAI 65850! Nur langsam, sehr langsam, extrem langsam kommt er laut Karte voran, während einige Kilometer weiter, auf der anderen Linie, schon die Landeklappen zum Endanflug auf Turku ausgefahren werden. Das wird eng! Saueng!

Endlich! Pfeifend und schwankend schiebt sich die rot-beige Zuglok vorne um die Kurve und ins Licht der immer noch zu niedrigstehenden Morgensonne. Aber gut, mit etwas reintelen sollte es schon klappen. Nochmal alles gecheckt, dann ist der Zug heran. Rauf auf die Zehenspitzen, jeder cm zählt und abgedrückt. Jetzt noch freundlich den Lokführer gegrüßt, der, angesichts der hier am Morgen unverhofft aufgetauchten „Meute“, das Horn gleich einmal mehr erschallen lässt, dann schauen wir den vorbeiwankenden Wagen zu, sprungbereit, um nach dem letzten, wie einst Speedy Gonzales, zum Auto zu sprinten.





Im Morgenlicht bringt Dv12 2525 den PAI 65850 von Naantali nach Turku tavara.






Rauf über die steile Rampe hin zur Straße und eingefädelt in den mittlerweile dichter gewordenen Verkehr. Dabei mit der einen Hand gesteuert, und mit der anderen die Kamera auf irgendeinen einigermaßen sicheren Liegeplatz befördert. Als Fahrer muss man halt Abstriche machen.

Weit ist es ja nicht zur Stelle, die sich die Beiden für den Südfahrer ausgeguckt haben. Aber der Zug von Norden her ist halt schon verdammt nahe und hat, im Gegensatz zu uns, keine roten Ampeln, kriechende Fahrbahnmitbenutzer oder 30 km/h Zonen die ihn bremsen. So verspricht es eine mehr als enge Kiste zu werden. Kurz vor dem Ziel bahnt sich dann neben mir auch noch ein Konflikt an. G und G, sprich Gubi und Google, sind sich nicht einig über die Route. Gubi will direkt, dafür aber auf einem kleinen Sträßchen, Google außen herum, dafür aber breit und asphaltiert. Ein kurzer Disput, dann setzt sich Gubi durch. Und das ist auch gut so! Denn kaum haben wir die letzten Gärten passiert und Nils mahnendes „gleich ist er da“ vernommen, taucht der Zug auch schon rechts von uns auf. Nahe, sehr nahe schon.

Ein kurzer Sprint, dass Kommando von der Rückbank „Gut jetzt! Nicht noch näher ran!“, rutschende Reifen auf Schotter, schon stehen wir wie die Zinnsoldaten aufgereiht und drücken ab. Nein, viel Puffer war nun wirklich nicht mehr!





Zwar ist die nur dem Güterverkehr dienende Strecke von Turku nach Uusikaupunki im Sommer 2021 bereits elektrifiziert, allerdings für den Betrieb mit Elloks noch nicht frei gegeben. Daher führen auch die beiden Dieselloks Dv12 2507 und 2756 den schweren Kesselzug, der die Erde rund um den Bahnübergang zum Beben bringt.






Hui! Na wenn das jetzt mal nicht ein perfekter Start in den Tag war! Abwechselnd gehen die Blicke vom Kameradisplay zum vorbei rollenden Zug und wieder zurück. Während unter uns der Boden, bewegt durch das Gewicht der Kesselwagen, merklich zu schwingen begonnen hat. Noch einmal der Wagenschlange hinterher geschaut, wie sie gen Turku verschwindet und dabei festgestellt, dass der Blick mit dem Portalkran der ortsansässigen Werft im Hintergrund auch ein nettes Motiv gäbe.

Einziges Problem dabei, es rollt so schnell nichts mehr, hier auf dieser Linie. Von den sich rasch nähernden Wolken, die bald für nur mehr trübe Beleuchtung sorgen werden, mal ganz zu schweigen.

Also machen wir uns ohne weitere Verzögerung, in bester, in allerbester Laune, auf in Richtung Kokemäki, einem Abzweigbahnhof an der Strecke Tampere – Pori. Dort soll es bis abends Sonne geben, dort soll es Verkehr geben, dort wollen wir hin.

Gut eineinhalb Stunden Fahrzeit prognostiziert das HNSNG (humanoides Navigationssystem namens Gubi) neben mir und lotst gleich los. The same procedure than last day! Gubi navigiert, Nil wühlt mittels Julia im Fahrplan und erstellt den Leitfaden, ich fahre. Und telefoniere zwischendrin auch noch mit einer Kundin, die, obwohl den Schlusstermin verpasst, so gerne noch gebucht hätte und jetzt ganz viele Fragen hat, den nächsten Termin betreffend. So ist das, wenn man selbständig ist und die Kunden die Handynummer haben. Aber egal, ich hatte ja gerade Zeit und so geb ich den Service gerne.

Nach einer ansonsten ereignislosen Fahrt über Land, auf oftmals schnurgeraden Straßen, und nachdem wir schon mal so unter die heranrückende Wolkenfront geraten sind, dass ich sowohl am Wetterbericht, als auch an der Chance heute noch ein einziges Sonnenbild zu machen, gezweifelt habe, öffnet sich der Himmel wie von Zauberhand und wir rollen unter einem weiten, blauen Himmelszelt in Kokemäki ein. Standplatz ein Bahnübergang. Nicht spektakulär, aber praktisch. Und wichtig. Denn mit Abstrichen ist es eine Zweirichtungsstelle und der erste Zug, ein Güterzug, steckt schon fast sein Köpfchen um die Ecke. Was wird es sein? Sr3? Oder doch ein Sr1 Doppel? Was mir jetzt ehrlich gesagt, deutlich lieber wäre.






Eine lange Schlange vierachsiger E-Wagen bringen Sr1 3079 und 3096 als T2020 in Richtung Norden.













Läuft, würd ich sagen! Wenn es so weiter geht, wird mir die Sache langsam unheimlich. „BINGO!“. Ein schneller Blick ins Archiv verrät, dass mir die Beiden bis dato noch in meiner Sammlung gefehlt haben. Und da die Sr1 so langsam Stück für Stück aus dem Dienst verschwinden, ist das für „den Sammler“ immer ein Grund mehr zur Freude.

Also lassen die Zwei einen Fotografen mit breitem Grinsen zurück. Dafür haben sie sich dann auch eine kurze Pause im nahen Bahnhof verdient. Die Kreuzung mit dem nach Tampere eilenden IC steht an. Der kommt zwar Steuerwagen voraus daher, was aber dem Motiv keinen wirklichen Abbruch tut.





Sr2 3233 schiebt IC 464 mit Steuerwagen Edo 28629 voraus in Richtung Tampere.






Und auch von oben, aufgenommen mit Gubis Drohne, macht der Blick was her.







Noch während wir auf den IC gewartet hatten, waren wir schon wieder heftig am Planen, nähern sich doch von Norden und Süden zwei Güterzüge, die relativ kurz hintereinander Kokemäki passieren. Der Südfahrer kommt von Pori her, während der „Nordfahrer“ hier auf die Zweigstrecke nach Rauma abbiegt. Und genau für den haben wir vorhin, beim Erkundungs-Guck während der Anfahrt, eine nette Stelle gesehen. Dort, an der Brücke der Landstraße, dreht nämlich die Strecke gen Westen und somit die Zugspitze ins Licht. Zudem könnte man schnell zur Linie von Pori her wechseln, und hätte so, wie heute Morgen, gleich zwei Züge an unterschiedlichen Stellen im Sack.

Dagegen spricht nur eins. Der Südfahrer ist vor Plan unterwegs und der Nordfahrer sammelt Verspätung ein. Und dass, wo das Zeitfenster für den Wechsel zwischen den beiden ausgeguckten Stellen schon planmäßig gerade so mal „naja“ war. Kennen wir das nicht wo her?!?!

Die sichere Variante wäre hierbleiben. Hier müssen sie beide so oder so nacheinander vorbei und wir würden nichts verpassen. Aber schon wieder ein Güterzug hier in der Fläche mit Frontschatten? Dafür wäre der andere Blick, aus der Richtung, aus der gerade der IC kam, durchaus nett.

Egal, wir wollen was anderes! Also los und einen Stellplatz fürs Auto gesucht. Zeit haben wir ja, bevor es hektisch wird. Daher probieren wir auch noch das Ein oder Andere durch, bevor wir, mit verbogenen Fußgelenken wie angepinnt am Hang der Schnellstraße stehen, immer im Sog der verbeirauschenden Fahrzeuge und mit wachsender Verzweiflung aufs Handy blickend. Viel fehlt nicht und wir haben beide Züge auf dem gleichen Foto! Den einen vorne, den anderen im Hintergrund, wie er vor dem Signal hält. Vielleicht auch ganz lustig, aber nicht das was wir wollen.

Dann ist es soweit. Der Zug Rauma passiert den nahen Bahnhof, während die Leistung von Pori kommend, beinahe in Sichtweite ist. So ein Mist!

Aber wir wären nicht wir, wenn uns für das Problem nicht auch schon was eingefallen wäre. Gleich nach dem Bild des Rauma-Zuges hetzen wir zum Auto, düsen auf der Sandstraße zum nahen Bahnübergang der Linie nach Pori, dabei auf dem Gelände des Bauernhofs, den wir durchfahren müssen, schön langsam, und mit ganz viel Glück klappt wirklich noch das zweite Bild.





Gerade ist Sr1 3032 nahe Kokemäki mit dem T3430 aus Jämsänkoski auf die Strecke in Richtung Rauma, dem Ziel der Leistung, abgebogen.






Kaum ist das Bild im Kasten, geht es auch schon runter von der steilen Böschung. Aber aufgepasst, jetzt sich nur nicht der Länge nach hinlegen oder gar die Gräten verstauchen. Dann sitzen wir im Auto, während links von uns schon die Zugspitze der Leistung aus Pori sichtbar wird. Das wird eng. Ach nöööö, jetzt auch noch das Auto lahmgelegt. Ist man nämlich zu schnell bei diesem Hybrid, ist die Elektronik verwirrt und schickt einen erstmal auf Standby. Also ruhig nochmal alles aus und von vorne, dann rollen wir. Vollsprint bis zum Gehöft, dann in Schrittgeschwindigkeit durch, schön aufpassen, danach erneut ein kombinierter Strom/Gasstoss, schon warnt wieder Nil, nur nicht zu forsch bis direkt zur Bahn vorzufahren, nicht dass der Lokführer noch auf falsche Gedanken kommt.

Keine halbe Minute länger hätte die Aktion dauern dürfen! Gerade noch rechtzeitig gehen die Kameras hoch. Und gut, dass ich deutlich über 1,80 bin! *grins* Bei dem Gestrüpp am Gleis wäre es ansonsten wohl nichts rechtes geworden.





Mit dem zur Gänze aus offenen Vierachsern der RZD bestehenden T 52061 von Tahkoluoto nach Riihimäki tavara haben die führenden Sr1 3042 und 3016 gleich Kokemäki erreicht.






Ganze 2 Minuten liegen zwischen den beiden Aufnahmen! Krass, wenn ich im Nachhinein so drüber nachdenke. Würde mir einer sagen, dass so eine kurze Spanne unter diesen Umständen für zwei Zugbilder an zwei Strecken reicht, ich würde es nicht glauben. Das toppt eindeutig noch die Aktion von heute Morgen.

Jetzt haben wir erstmal „Pause“. Naja, nicht so wirklich, denn in ca. einer halben Stunde steht der nächste IC an. Aber rein mathematisch ist es 15x mehr Zeit wie gerade eben. Und da es nur ein Zug, anstatt der zwei von gerade ist, ja dann sogar rein rechnerisch 30x mehr Zeit ….. oder wie jetzt?

Auf alle Fälle, genügend Zeit, um relaxed einzukaufen. Denn das Magenknurren ist mittlerweile unüberhörbar, da das Frühstück, wenn auch reichhaltig, schon lange her. Und kühle Getränke täten auch Not. Also ab in den Supermarkt und das Körbchen gefüllt. Dabei aber darauf bedacht, nicht wieder Unmengen einzuladen, die danach kein Mensch essen kann.

Noch den obligatorischen Preisschock an finnischen Registrierkassen mitgenommen, dann stehen wir auch schon wieder am bekannten Bahnübergang am Rande von Kokemäki. Es ist sogar noch Zeit den alten Scania zu würdigen, der am Straßenrand stehend auf das Getreide wartet, dass sein Besitzer, mit einem noch altertümlicher erscheinenden Mähdrescher, vom Feld holt. Dann bimmeln auch schon die Schranken und Schweizer Qualitätsarbeit voran, nähert sich der IC aus Tampere.






Ein Scania der Serie 2 beim Landeinsatz. Obwohl selbst schon nicht mehr der Jüngste, dürfte er mit einem Baujahr zwischen 1980 und 1989 wohl nicht ganz so „antik“ sein, wie der Mähdrescher des Landwirts, der im Hintergrund gerade durchs Getreidefeld rollt.






Sr2 3207 hat mit dem IC 465 von Tampere nach Pori ihren nächsten Halt Kokemäki fast erreicht.







Jetzt steht erst einmal „plündern der Vorräte“ auf dem Programm, was wir auch ausgiebig tun. Dazwischen ein kurzer Gruß an den Bauern, der eine Fuhre Getreide vom Mähdrescher in den LKW befördert, um dann am nahen Feld weiter seine Kreise zu ziehen. So vergeht die Stunde bis zum nächsten Güterzug wie im Flug, während der Kopf ab und an in den Nacken geht, um den Aufzug der ersten Wolken zu beobachten, die die Schlechtwetterfront, quasi als erste Vorboten, über den Himmel schickt. Aber alles noch im grünen Bereich und kein Wolkenschaden zu befürchten.






Sr1 3034 und 3093 mit dem T 52064 kurz vor Kokemäki.






Auch die zweite Lok im Zugverband hat mal ein extra Bild verdient.







Wüsste ich es nicht besser, ich würde sagen, Nil ist verliebt. Schwer verliebt sogar! Denn während sich Gubi und ich über dies und dass austauschen, ist er ganz versunken in seinem Zwiegespräch mit Julia. Mal wieder!

Aber nein, er ist nicht dem herben finnischen Charme der „jungen Dame“ erlegen, er ist schlicht und ergreifend nur pflichtbewusst. Und so hat er schon wieder Bildfahrpläne studierend bemerkt, dass der Güterzug demnächst zur Kreuzung mit einem IC von Pori kommend an den Rand muss.

Folge: Hektische Finger wischen über Smartphone Displays, potentielle Fotostandorte werden gesucht, Blick und Anfahrtsmöglichkeiten eruiert und Theorien über Fahr- und Ankunftszeiten aufgestellt.

Ergebnis? Erneuter Alarmstart unmittelbar nach Passieren des Zuges.

Nun ist die Strecke hier topfeben. Also nichts, was dem Güterzug am flott durchrollen hindern könnte. Zudem stellt die Anhängelast nun auch nicht die so große Herausforderung an die beiden, zwar betagten, aber dennoch noch fitten Zugmaschinen. Und das in Verbindung mit den niedrigen, hier in Finnland zugelassenen Geschwindigkeiten und den restriktiven Kontrollen, macht eine Zugverfolgung nicht gerade einfach. So rechnen wir uns auch nicht allzu große Chancen aus, die Fuhre noch einmal ablichten zu können. Wenn, dann geht es sowieso nur von einer Brücke nicht weit hinter der Station, in der gekreuzt wird. Sobald die beiden Sr1 nämlich wieder Fahrt aufgenommen haben, ist die Chance dahin.

Nach sich ewig ziehenden Kilometern ist es dann endlich soweit. Die Rampe der Brücke ist erreicht. Nur parken kann man dort nirgends. Zwar breit, aber mit viel Verkehr, würde man eindeutig ein Hindernis darstellen. Also, bleibt nur das Los des Fahrers zu akzeptieren. Rechts ran, die beiden Nasen aussteigen lassen, am Fuß der Rampe eine Abstellmöglichkeit fürs Auto suchen und dann hochhetzen, in der Hoffnung, dass es noch reicht.

Eine Abstellfläche ist schnell gefunden, auch wenn die Einfahrt dahin recht abenteuerlich ist und der Bodenfreiheit meines Hybrids alles abverlangt. Kaum bin ich aus dem Auto draußen, heften sich unzählige Augenpaare auf mich. Zieren doch den Zaun des gleich angrenzenden Minengeländes im fünf Meter Abstand Schilder mit „Fotografieren verboten!“. Und das erste was ich aus dem Fond fördere, ist meine Kamera.

Die aufkommende Spannung löst sich dann aber recht schnell, als ich meinen Rucksack schultere und mich schnellen Schrittes auf den langen Weg hoch zu den anderen mache. Motiviert durch die von dort schallenden Zurufe, dass sich der Zug noch nicht, immer noch nicht, immer noch nicht, immer noch nicht, jetzt, aber sehr langsam in Bewegung gesetzt hat. Bei letzter Mitteilung bin ich aber schon fast oben, so dass es für mich auch noch reicht, den Puls kurz zu senken, die Kamera anzusetzen und ein Bild zu schießen.





Nach der Kreuzung mit dem IC aus Pori, beschleunigen Sr1 3034 und 3093 ihren Kohlezug T 52064 wieder in Richtung Ostsee.






Ich kann mir nicht helfen, aber Name der nahen Ansiedlung Torttila löst bei mir gerade eindeutige Gelüste nach Pasta und Vino aus. Beides mit 99%-iger Wahrscheinlichkeit unerfüllt bleibende Träume, wird wohl der Abend kulinarisch aller Voraussicht nach wieder in einer Burgerbude enden. Hesburger schwebt als Begriff durch den Raum, und auch wenn ich die Begeisterung der zwei Anderen für diesen speziellen Bullettenbrater nicht teile, ich werde mich der nummerischen Übermacht wohl beugen müssen.

Für uns geht es jetzt aber erstmal wieder zurück in Richtung Kokemäki, in die Fläche. Dort hatten wir uns einen Bahnübergang ausgekuckt, der aber bislang nie wirklich rechtzeitig erreichbar war. Dort angekommen stellen wir fest, dass wir hier das gleiche Vegetationsproblem haben, wie bei dem „Notschuss“ von heute Mittag. Also erneut auf die Zehen gestellt und einen langen Hals gemacht, als rund eine Stunde später ein Leerzug vom Meer her anrollt.






Gleich haben Sr1 3096 und 3079 Kokemäki erreicht. Mit dem T 2051 sind sie unterwegs von Tahkoluoto nach Riihimäki.






Nach erfolgter Kreuzung in Kokemäki kommt IC 467 Tampere – Pori Steuerwagen voraus daher. So bleibt nur der Nachschuss auf Sr2 3220, die bei ihrer Schieberei mit Sicherheit nicht überlastet ist.







Nun reicht’s hier aber auch und wir verschieben nochmal Richtung Nordwesten und damit ran an die Schlechtwetterfront, die sich mit einer sich deutlich abzeichnenden und schnell näherkommenden Siffschicht nun massiv ankündigt. Werden daher wohl die letzten Bilder des Tages werden. Und dafür wollen wir nochmal eine nette Stelle, die wir dann auch prompt bei Ylinen finden.

Erst mal ein Stück zurücklaufen durch die Wiese entlang der Straße, um uns am Rand eines Wäldchens für den IC von Pori her in Position zu schmeißen, dann wieder zurück und nahe des Bahnübergangs herum gegammelt, bis der Pendo kommt.






Nach einer kurzen Wende ist Sr2 3220 mit ihrer Garnitur wieder auf dem Rückweg von Pori nach Tampere. Diesmal unter der Zugnummer IC 470.






Erst der Blick von oben, mit den Augen von Gubis Drohne, zeigt die ganze Weite der flachen Landschaft.







Eine Stunde haben wir jetzt Zeit, bis mit S 469 eine der Starleistungen auf dieser Strecke auftaucht. Zeit, die Gubi und Nil dösend im Auto verbringen, während ist mich etwas draußen umschaue, dabei das alte Schild ablichtend, dass sich in seinem gelb-rot im Licht der langsam sinkenden Sonne so schön vom grünen Hintergrund abhebt.











Ich find ja die Schilder in der Farbkombi genial, weshalb ich immer mal wieder versuche, sie als Farbtupfer mit aufs Bild zu bringen. Und so kommt mir auch jetzt ein Gedanke. Könnte man den Blick nicht hernehmen, um den ausstehenden Sm3 quer zu schießen?

Ja, ich glaub das könnte mir gefallen. Das Schild vorne und das hinten direkt an den Gleisen, dazu der grüne Zug und darüber der blaue Himmel mit den Wolken. Könnt ich mir jetzt durchaus vorstellen. Aber passt der da überhaupt rein?

Jetzt geht das Gefummel los. Der Punkt nah am Straßenrand gesucht, von dem aus ich die maximale Weite habe, denn es geht um jeden Meter Strecke, den ich mit drauf bekomme. Aber aufgepasst, zu viel Schatten von den Büschen zur LInken darf auch nicht drin sein. Dann Masten gezählt, Vergleichsbild von gestern gesucht, dort Masten gezählt. Könnte reichen! Aber sind die Mastabstände an beiden Stellen gleich? Schließlich haben wir hier einen Kurvenübergang.

Irgendwann ist klar, es wird knapp, doch es könnte sich ausgehen. Aber! Ich hab definitiv nur einen Schuss! Keine Serie, denn dann ist womöglich ein Bild knapp vor dem Auslösepunkt, heißt abgeschnittener Zugschluss, und beim nächsten ist die Spitze schon aus dem Bild raus. Und gerade richten ist auch nicht. Soviel Spielraum wird’s nicht geben.

Ich weiß nicht wie oft ich anpeile, abdrücke, kontrolliere, wieder anpeile, und so weiter und so fort. Jedenfalls entstehen eine Menge Testbilder bevor der Zug dann endlich da ist. Jetzt nur nicht zu früh abdrücken, warten, nicht zu früh, nicht ….. klack …. Noch während lautstark der Spiegel klappt, bin ich mir sicher „das war nix!“ …. Wie man sich täuschen kann ….





Sm3 7615 als S 469 unterwegs von Tampere nach Pori.






Schon fast wiederwillig drücke ich auf den Knopf und das Kameradisplay geht an. Upps, war ich mir nicht sicher zu spät ausgelöst zu haben! Dabei passt es. Gut, ganz leicht gekippt. Aber das kann auch täuschen, durch den Bogen, den die Strecke macht. Aber sonst …. also mir gefällts. So hab ich es mir vorgestellt. Mal was anderes.

Während ich nun, geistig schon auf die Fahrt nach Tampere in Richtung Unterkunft eingestellt, sauber meine Kamera im Rucksack verstaue, überrascht Gubi mit der Mitteilung, dass er doch noch gerne die Rückleistung ablichten würde.

Gerade von ihm hätte ich das jetzt nicht erwartet. Hat doch die dichte Siffschicht die Sonne schon fast erreicht. Zudem, mehr wie ein Schuss auf das Hinterteil des davoneilenden Pendolino ist bei der Ausrichtung der Strecke eh nicht drin. Das Ganze dann wie gesagt auch noch im Sabberlicht? Für mich kein Anreiz hier noch eine Stunde zu verbringen.

Aber er hat da noch ein Motiv, meint er. Das mit der Feldscheune. Wir wüssten doch! Nil und ich schauen uns an. Nein, wir wissen nicht! Aber wenn er das will, dann soll er es haben. Und so stehen wir wenig später wieder in der Fläche an der langen Geraden, während Gubi stolz die Scheune präsentiert, von der ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann, sie als Highlight ausgerufen habe. Mag aber nichts heißen, schließlich bin ich der Senior der Truppe und erzähle viel, wenn der Tag lang ist.

Und so stehen wir nun hier, mit Froschblick an den Gleisen geparkt, im falen Licht der sinkenden Sonne, die schon lange gegen den Schmodder verloren hat und beobachten zum Zeitvertreib, bis der Zug naht, eine Familie, die, im Aussehen her nicht unähnlich einer bekannten holländischen Spielfilmfamilie, inmitten von mehr oder weniger desolaten Autos steht, welche sich, auf dem Grundstück verteilt, lose um das Haus gruppieren. Eines davon, beileibe nicht das ältesten der dort abgestellten Stahlvehikel, versucht der Familienvorstand gerade zum Leben zu erwecken, was dessen Motor mit hustendem Spucken zu verhindern weiß. Da helfen auch keine Beschwörungen oder mit rauchiger Stimme vorgetragene finnische Kraftausdrücke, das Kfz widersetzt sich störrisch und mit Ausdauer erfolgreich allen derartigen Bemühungen.

Dann ist der Pendo endlich durch, das, im Sinne von „wenn wir hier schon mal rumstehen“, aufgenommene „im-trüben-Licht-auf-den-A…-geschossen“ Bild auf dem Speicherchip und wir via Schotterpiste auf dem Weg zur Hauptstraße und nach Tampere.

Etwas mehr als eineinhalb Stunden sind es bis dahin. Hotel ist schon gebucht. Noch bevor ich am Bahnübergang von vorhin den Tanz um das Schild vollführt habe, hatte ich mal im Netz geschaut und etwas Nettes gefunden. Modern, drei Einzelbetten und preislich recht o.k.! Also wurde, nach Rücksprache mit den Mitreisenden gebucht …. ohne so 100% auf den Straßennamen zu achten.

So wundern wir uns auch, als wir in Tampere angekommen, von der Hauptstraße ab, hinein ins weitläufige, moderne Krankenhausgelände abbiegen.

Und tatsächlich, unser Hotel ist in einem der vielen Bauten des Krankenhauskomplexes untergebracht. Neben einer großen Anzahl von Arztpraxen und kleinen Spezial- und Tageskliniken. Wie wir später erfahren, dient es primär dafür, dass Angehörige dort übernachten können, wenn sie ihre Verwandten/Bekannten besuchen oder diese zur Behandlung bringen bzw. abholen.

So ist auch der Zimmerschnitt der eines Krankenzimmers. Aber es ist schön, sehr gemütlich eingerichtet und die Betten lassen keine Wünsche offen. Schnell richten wir uns her, denn unsere Mägen signalisieren eindeutig Füllbedarf.

Wie erwartet wird Hesburger als Ziel ausgerufen. Na gut, wenn es muss. Nein, nicht dass ich etwas gegen diese Kette hätte, es ist ein Burgerladen wie das goldene M oder BK. Nur haben die Beiden Bestellautomaten. Die hasse ich zwar im normalen Leben, im Ausland, mit fehlender Sprachkenntnis, finde ich sie aber durchaus recht nützlich. Der Hesburger in Helsinki am Bahnhof hatte diese Ausstattung nicht, man mag sich erinnern, und auch hier glänzt dieses Equipment mit Abwesenheit. Dafür hat es eine in perfektem Finnisch beschriftete Anzeige über dem Tresen und eine, von der langen Tagschicht merklich angenervte, Mitarbeiterin hinterm Tresen.

Also lass ich mal ganz generös die beiden Anderen vor, um im Zweifelsfall durch Fingerzeig auf deren Tablett der Guten nonverbal klarzumachen, was ich gerne wollen würde. Oder besser was ich dann zu mir nehmen würde, auch wenn es eigentlich nicht erste Wahl wäre, nur um nicht heute Nacht einen schmerzhaften Hungertod sterben zu müssen.

Aber irgendwie geht mein Plan nicht auf. Denn nach kurzem Dialog kommt Nil zurück und meint, wir müssten gehen. Es ist kurz vor 21.00 Uhr und aufgrund von Corona Regeln würde man die Räumlichkeiten gleich schließen. Mitnehmen würde noch gehen, aber auf im Auto essen hätte er jetzt keine Lust. Also Stellungswechsel zur nächstgelegenen Alternative. Und siehe da, entgegen aufkommender Befürchtungen kann man beim goldenen M noch länger drinnen sitzen.

So hab ich am Ende doch noch mein Essen ohne große sprachliche Verrenkungen bekommen. Dem Touchscreen sei Dank.

Wieder zurück im Hotel passierts dann! Schon beim Rausgehen vorhin hatte ich es bemerkt. Nun komm ich nicht mehr dran vorbei. Von einem Aufsteller, voll mit süßen Plüschtierchen, zwinkert mir ein kleiner Sofffuchs zu. So lieb und verführerisch, dass ich trotz vor Jahren feierlich geleistetem Eid, meiner Vielzahl an Tierchen kein weiteres mehr hinzuzufügen, fast augenblicklich schwach werde und die hier und heute beginnende, immerwährende Freundschaft mit ihm, an der Kasse mittels gezückter Kreditkarte besiegele. Sehr zu Erheiterung der jungen Dame hinter der Rezeption.

Und so sitz ich nun, mit einem glücklichen Lächeln und mit Kettu, meinem neue Reisebegleiter, der sich gerade mit meinen vier Reisemaskottchen bekannt macht, auf dem Zimmer und bespreche mit Nil und Gubi den kommenden Tag.

Den Plan schreibt eigentlich das Wetter. Denn während es hier die kommenden Tage sehr nass werden soll, öffnet sich laut Vorhersage, weiter im Norden, für zwei, drei Tage ein Sonnenfenster. Also nutzen wir den Waschtag morgen, um hinauf nach Oulu zu fahren. Immerhin fast 500 km Strecke gilt es zu bewältigen. Fast 6 Stunden, ohne die Pausen, werden wir dafür unterwegs sein. Somit ist der Tag dann durch. Und das, wenn’s schlecht läuft, ohne ein Eisenbahnbild. Aber hierbleiben, im Dauerregen, macht auch keinen Sinn.

Und eigentlich auch ganz gut so. Denn vielleicht bekomme ich auf diese Art und Weise mein erstes Bild von einer Dr16 überhaupt. Auch Dm12 rollen auf diversen Linien, die wir kreuzen. Zudem lockt der Erzverkehr aus Osten. Grund genug den Sprung zu machen.

Dann mal schnell die Augen zu, denn ich muss fit sein. Denn fahren kann ja bekanntermaßen in dem Urlaub nur ich. Gute Nacht!